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Freiheit statt Angst – 1. Bericht

13. Oktober 2008

In Berlin fand am Samstag ab 14 Uhr die große, von langer Hand geplante Datenschutz-Demonstration unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ statt. Sie war Teil des internationalen Aktionstages „Freedom not Fear“. An der Demonstration, zu der 117 Organisationen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Richtungen aufgerufen hatten, beteiligten sich nach nach Veranstalterangaben über 100.000 Teilnehmer. Da ich auch selbst anwesend (und Teil des Presseteams) war, habe ich natürlich auch einige Eindrücke und an die 500 Bilder mitgebracht, von denen ich hier einige mit meinen Lesern teilen möchte.

Organisiert wurde die Veranstaltung von einem Aktionsbündnis unter Leitung des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der bereits zur ersten Berliner Großdemonstration vor einem Jahr aufgerufen hatte. Damals beteiligten sich etwa 15.000 Leute. In diesem Jahr war im Vorfeld mit 30.000 Teilnehmern gerechnet worden. Diese Zahl musste bei strahlend schönem Wetter und wohl auch angesichts der jüngsten Datenskandale, die das Thema noch einmal ins öffentliche Bewusstsein riefen, bald nach oben korrigiert werden auf nach Veranstalterangaben 100.000, in jedem Fall aber über 50.000 Teilnehmer. Nicht umsonst bedankte sich der eine oder andere Aktivist bei der Telekom für die “tatkräftige Unterstützung”, die vielleicht noch den einen oder anderen zusätzlich zur Teilnahme motivierte.

Anne Roth bei ihrer Rede
Anne Roth bei ihrer Rede

Um 14 Uhr sammelten sich die Demonstranten am Alexanderplatz, wo nach einer Begrüßung durch den Anmelder der Demo, Ricardo-Cristof Remmert-Fontes, und Mit-Organisator Padeluun (der auch die weitere Moderation übernahm und sehr zur guten Stimmung bei den Demo-Teilnehmern beitrug) einige Auftaktreden zu hören waren. Zuerst sprach Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Als Datenbank-Administrator konnte er die Sicherheit der von den Behörden gesammelten Daten sehr kompetent beurteilen – und zog ein vernichtendes Fazit. Er erteilte Lügen, Halbwahrheiten und Inkompetenz bei den verantwortlichen Politikern eine heftige Absage und schloss mit den Worten: “Frau Merkel, Frau Zypries, Herrn Schäuble, Herrn Ziercke, Herrn Schönbohm und all den anderen möchte ich hier und heute zurufen: Sie können uns gerne mangelnde Sachkunde vorwerfen. Sie können sich auch gerne über uns lustig machen. Sie können uns bedrohen. Sie können uns sogar einsperren. Denn all das wird uns nur noch stärker und noch zahlreicher machen. Denn das erhöht nur unsere Entschlossenheit, unsere Grundrechte und unsere Freiheit mit aller Kraft zu verteidigen. Täuschen Sie sich nicht: wir werden von unserem Weg nicht abweichen. Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir lassen uns nicht aufhalten, wir lassen uns nicht versklaven. Und wir lassen uns unseren Traum von einem Leben in Frieden und Freiheit nicht von Ihnen nehmen. Das werden Sie nicht schaffen. Denn wir wählen Freiheit statt Angst.” Die zweite, vom Publikum und den anwesenden Medienvertretern mit sehr viel Interesse aufgenommene Rede hielt die Journalistin Anne Roth, vielen Internet-Nutzern wohl vor allem über ihr Blog „annalist“ bekannt. Sie schilderte, wie sie selbst zum Opfer extremer staatlicher Überwachung wurde, weil ihr Freund, der Soziologe Andrej Holm, fälschlicherweise der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verdächtigt wurde. Sie betonte, dass durch die neuen Gesetze sehr leicht auch unschuldige Menschen in eine solche Situation kommen können. Sehr viel Anklang fand auch die Rede von Martin Grauduszus von der Freien Ärzteschaft, der die elektronische Gesundheitskarte und deren negative Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient thematisierte.

Nach den Reden machte sich der Demozug auf seine knapp vier Kilometer lange Wanderung quer durch

Der Demozug vor dem Reichstag
Der Demozug vor dem Reichstag

Berlin, die ihn unter anderem am Reichstag vorbei hin zum Brandenburger Tor führte. Dabei boten die Teilnehmer ein sehr buntes und interessantes Bild. Es waren sehr unterschiedliche Gruppen gekommen, von den Jungen Liberalen über die Grünen, die Piratenpartei, verschiedene Berufsverbände bis hin zu linken Gruppen wie der antifaschistischen Aktion und der MLPD. Viele Teilnehmer hatten Plakate und Transparente mit teilweise sehr kreativen und treffenden Slogans dabei. Einige der größeren Gruppen hatten außerdem eigene Wagen dabei. Viel Aufsehen erregten hier beispielsweise Bundestrojaner und Blümchenwiese des Chaos Computer Clubs und der Wagen der Freien Ärzteschaft mitsamt gläsernem Patienten.

Zu Ausschreitungen oder sonstigen kritischen Situationen kam es nicht und auch die Polizeipräsenz war eher geringer als im vergangenen Jahr, wohl auch weil linksradikale Gruppen der Demonstration nach Spannungen im Vorfeld weitgehend fernblieben. Auch das Filmen der Teilnehmer durch die Teilnehmer durch die Polizei, von dem sich im vergangenen Jahr viele Demo-Teilnehmer provoziert fühlten, fand nach Beobachterangaben dieses Mal seltener und rücksichtsvoller statt.

Ralf Bendrath bei seiner Rede
Ralf Bendrath bei seiner Rede

Auf dem Platz des vor dem Brandenburger Tor angekommen wurden die Demo-Teilnehmer schon von einer riesigen Bühne und den Abschlussrednern erwartet. Außerplanmäßig sprach Techno-Star Dr. Motte, der den Bogen von Focaults gesellschaftlichen Theorien bis zur Datenschutz-Bewegung schlug. Allerdings hätten sich hier wohl einigeTeilnehmer eine etwas weniger abstrakte Rede gewünscht. Als weiterer Redner war außerdem der bekannte Blogger und Netzaktivist Ralf Bendrath vom Netzwerk „Neue Medien“ eingeladen. Er sprach von der Notwendigkeit einer breiten und gut vernetzten Datenschutz-Bewegung, zu der jede Gruppe etwas beitragen kann. Leider habe ich bis jetzt noch keinen O-Ton von dieser wie ich fand sehr gelungenen Rede auftreiben können. Ebenfalls sehr gut gefiel mir die Rede von Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Er betonte, dass durch die Maßnahmen der Bundesregierung keine wirkliche Sicherheit erreicht werden könne, und entwarf die Vision einer neuen, weniger auf Sicherheitstheater und exzessive Überwachung setzenden Sicherheits- und Datenschutzpolitik. Nach den Reden und einem kurzen Schlusswort von Ricardo-Cristof Remmert-Fontes begann in sieben Berliner Clubs die „Lange Nacht der Überwachung“. Der Name hatte im Vorfeld die Kritik vieler Engagierter auf sich gezogen. Trotzdem freuten sich wohl viele Demo-Teilnehmer über die Möglichkeit, zu feiern, etwas zu trinken und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.

Insgesamt können die Veranstalter angesichts des eindeutig gestiegenen öffentlichen Interesses wohl trotz einiger organisatorischer Pannen und zahlreicher Kontroversen im Vorfeld ein positives Fazit dieser Veranstaltung ziehen. Nun heißt es für sie, der neu gewonnenen gesellschaftlichen Aufmerksamkeit auch durch solide inhaltliche Arbeit gerecht zu werden und das Thema nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

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