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Offener Brief an die EMMA (1. Fassung)

21. Juni 2009

Sehr geehrte Mitglieder der EMMA-Redaktion,

in Ihrem Artikel “Meinungsfreiheit für Kinderpornos?” nehmen Sie Bezug auf die aktuellen Pläne unserer Regierung, dokumentierten Kindesmissbrauch (“Kinderpornographie”) im Internet mit Hilfe von Netzsperren zu bekämpfen. Dabei tätigen Sie einige Aussagen, die ich als Gegnerin dieser Vorhaben so nicht stehen lassen kann und will. Daher möchte ich meine Sicht der Dinge kurz erläutern.

In Ihrem Artikel geben Sie zunächst sehr richtig die Argumente der Protestbewegung wieder, dass derartige Netzsperren die Inhalte nur verdecken, statt sie zu entfernen, und dass einer Zensur Vorschub geleistet wird. Ihre Gegenargumente jedoch sind teilweise für mich in keiner Weise nachvollziehbar.

Bezüglich der Aussage Ursula von der Leyens, die Netzsperren seien lediglich “Teil eines Gesamtplans” zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und dessen Dokumentation muss sich die Ministerin die Frage gefallen lassen, was sie diesbezüglich bisher unternommen hat. Ist sie wirklich so konsequent, oder versucht sie dies lediglich, pünktlich zum Wahlkampf, durch Netzsperren-Aktionismus zu suggerieren?

Ihre Aussage “Das macht in der Tat zum Beispiel dann Sinn, wenn der Server, auf dem die Seite liegt, im Ausland steht, so dass Bürokratie oder fehlende Rechtshilfe abkommen das Abschalten erheblich schwieriger machen”, entspricht nur teilweise der Realität. Wie der Chaos Computer Club (CCC) und der Verein Missbrauchsopfer gegen Internetsperren (MOGIS), deren Engagement für die Bekämpfung sogenannter Kinderpornos, wie Sie sehen, gar nicht so gering ist, wie der Artikel suggeriert, umfangreich dokumentiert haben, steht ein Großteil der Server, auf denen derartiges Material angeboten wird, in Deutschland oder im europäischen Ausland. Eine Löschung des Materials und Verfolgung der Täter sollte also durchaus im Bereich des Möglichen liegen. Auch die mangelnde Kooperation der Provider erwies sich bei einer Aktion des von Ihnen erwähnten Arbeitskreises gegen Internetsperren und Zensur nicht als großes Problem: Die Aktivisten konnten innerhalb von 12 Stunden die Löschung von 60 Seiten mit sogenannten Kinderpornos veranlassen. Dies funktionierte sowohl innerhalb Deutschlands als auch im Ausland. Wenn bereits eine Gruppe von Aktivisten einen derartigen Erfolg erzielen kann, wieviel eher müsste dies dann staatlichen Stellen mit ihrem ungleich größeren Einfluss gelingen?

Leider bereits häufig gegen die Protestbewegung vorgebracht wurde das Argument, dass die dort beteiligten Menschen, wie sie es formulieren, sich das Internet als “antibürgerliche Gegengesellschaft, das nach dem Willen so manchen Nerds tunlichst ein rechtsfreier Raum bleiben soll” wünschen. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Mitstreiter unserer Bewegung so denkt – auf die überwältigende Mehrheit dürfte dies jedoch nicht zutreffen. Wäre uns an Rechtsfreiheit gelegen, welchen Grund hätten wir dann, uns so vehement im Rahmen eines demokratischen Dialoges, mit legalen und friedlichen Mitteln, gegen eine von uns als falsch angesehene Politik zur Wehr zu setzen? Wären wir lediglich am Internet und dem dortigen Praktizieren einer “Rechtsfreiheit” interessiert, dürfte es für viele der technisch versierten Mitglieder der Bewegung ein leichtes zu sein, dies durch technische Mittel auch unabhängig von den Bemühungen der Regierung zu praktizieren. Technische Mittel wie VPNs und Verschlüsselung bieten diesbezüglich so einige Möglichkeiten. Das jedoch liegt gar nicht in unserem Interesse. Wir wollen keine Rechtsfreiheit (und übrigens auch keinen Täterschutz; dies ausgerechnet einer Gruppierung zu unterstellen, zu der Menschen gehören, die selbst missbraucht wurden, grenzt an Geschmacklosigkeit), wir fühlen uns vielmehr rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet und nehmen deswegen am gesellschaftlichen Dialog teil. Wir sehen uns nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern als Teil derselben, und wir wollen Freiheit nicht nur für einige technisch versierte Menschen, sondern für jeden in diesem Land.

Inwiefern, werden Sie sich vielleicht fragen, gefährdet das neue Netzsperren-Gesetz den Rechtsstaat? Uns geht es dabei keineswegs um irgendein “Recht auf Kinderpornos” – für deren Löschung treten wir ebenso entschieden ein wie für eine Strafverfolgung der Täter. Das Problem bei dem nun verabschiedeten Gesetz ist allerdings folgendes: Gesperrt werden nicht Kinderpornos. Gesperrt werden alle Seiten, die vom Bundeskriminalamt (BKA) anhand bisher unbekannter Kriterien als kinderpornographisch eingestuft werden. Das ist, auch wenn es zunächst nicht so erscheinen mag, ein großer Unterschied – ein Unterschied, der uns bewegt, im Bezug auf dieses Gesetz von Zensur zu sprechen. Dem BKA kommt hier die Rolle zu, zu entscheiden, welche Inhalte man als Internetnutzer sehen darf und welche nicht. Damit übernimmt es eine erhebliche Macht über unser Lernen, Denken und Handeln. Es muss kaum betont werden, wie leicht hierbei, irrtümlich oder böswillig, auch Seiten gesperrt werden könnten, die keinen dokumentierten Kindesmissbrauch enthalten. Dies ist in anderen Ländern, die ähnliche Netzsperren praktizieren, nachweislich bereits geschehen. Geplante Kontrollmechanismen sind kaum wirksam und können diesen Verstoß gegen die Gewaltenteilung, die Aushebelung demokratischer Kontrollmechanismen, keineswegs aufheben. Das BKA, ein Teil der Exekutive, entscheidet hier, welche Inhalte strafbar und einer Sperrung würdig sind. Dies ist nicht im Sinne eines Rechtsstaats. Deswegen, und nicht aufgrund der von Ihnen angenommenen Motive, lehnen wir die Netzsperren ab.

Ich hoffe, dass Sie über die vorgebrachten Argumente nachdenken und wir in Zukunft in einen konstruktiveren, von Respekt gekennzeichneten Dialog treten können.

Mit freundlichen Grüßen,

Annika Kremer

14 Kommentare leave one →
  1. Furchtbar permalink
    21. Juni 2009 11:27 am

    Sehr schoener Brief.
    134.014 Buerger haben die Petition unterschrieben, ihre Namen und persoenliche Daten angegeben. Die Autorin des EMMA Textes war leider zu erhaben, um mit ihrem Namen fuer diesen Text einzustehen, oder sollte das ein Gastkommentar von Franz-Josef Wagner gewesen sein?
    Nachdem Alice Schwarzer sich fuer Werbekampagnen der BILD Zeitung hergab, scheint nichts wer unmoeglich.

  2. 21. Juni 2009 12:20 pm

    Gut geschrieben. Vielen Dank fuer die Muehe und vielleicht bewirkt es ja irgendwas

  3. Steffen permalink
    21. Juni 2009 2:21 pm

    Toller Brief, insbesonder der Schlußsatz gefällt mir sehr gut. Leider scheint es, dass man jeden Autor aufs neue „missionieren“ muss.

    Oder wie soll man folgende Meldung des heute Journals von gestern interpretieren:
    „Der unter dem Bezug von Kinderpornographie stehende Abgeordnete Tauss tritt aufgrund der Ablehnung des Gesetzes gegen Kinderpornographie aus der SPD aus“ (sinngemäß).

    Es ist schon traurig, wie wenig Sorgfalt die Medien an den Tag legen.

  4. pantapanta permalink
    21. Juni 2009 2:34 pm

    Moin,
    danke für diesen tollen Brief. Ich bin gestern über fefes-blog darüber gestolpert und hab meinen Augen nicht getraut. Ein trauriges Beispiel für ganz schlechten Journalismus, falls man das überhaupt noch so nennen darf. Und da der Beitrag auch nicht als Kommentar gekennzeichnet ist, finde ich, dass der Verfasser/die Verfasserin des Artikels sich ernsthaft fragen sollte, warum er/sie sich diesen Beruf denn ausgesucht hat.

    Dass dort dem CCC vorgeworfen wird, nichts getan zu haben, ist eigentlich schon ein Unding. Dass AK Zensur im Satzgefüge zu Internetprofis degradiert werden, die die Seite von der Deutschen Kinderhilfe gehackt haben sollen, ist schon sowas wie Unterstellung einer Straftat. AK Zensur hat auf meine Anfrage diesbezüglich übrigens alle Vorwürfe als haltlos dargestellt und als schlichte Lüge bezeichnet.

    Aber zum Glück sind einige Leute in deren Forum unterwegs, um den Kollateralschaden in Grenzen zu halten. Das macht Mut.

  5. 21. Juni 2009 3:43 pm

    Sehr gut formuliert. Danke für diese Antwort.

    Dass die EMMA-Redaktion sich auf einem derartigen Niveau äußert, ist mehr als bedenklich. Hier sehen wir genau die Mischung aus Inkompetenz, Borniertheit und Kommunikationsverweigerung, die auch in der Politik sauer aufstößt. Mit journalistischer Aufbereitung für das einfach strukturierte Publikum ist das nicht zu entschuldigen.

    Einen Punkt möchte ich aber abgesehen von den verfassungsrechtlichen Fragen (Art. 20 Abs. 3 GG im Zusammenhang mit Art. 79 Abs. 3 GG) gerne noch anfügen: das ZugErschwG ist tatsächlich eine Erleichterung für Anbieter von kinderpornografischen Inhalten. Wie der AK Zensur ausführt, ist das Stoppschild für sie ein Frühwarnsystem, das ihnen genug Zeit verschafft, ihre Inhalte immer wieder auf neue Server zu verschieben und die Spuren zu verwischen. Das Gesetz macht die Löschung erheblich schwerer, es spielt den Tätern in die Hände.

  6. hollarius permalink
    21. Juni 2009 4:55 pm

    Gut geschriebener Brief, aber zu lang für einen Leserbrief – so wird er entweder nicht veröffentlicht, oder die interessantesten Stellen werden rausgekürzt … mach ihn genauso deutlich aber halb so lang, was nicht heißen soll: „Mach mal halblang!“ …. 😉

  7. 21. Juni 2009 5:02 pm

    Hallo Annika,
    ich kann deinen Brief nur unterstützen.

    Zu dem Begriff „Zugangserschwerungsgesetz“ im Vergleich mit „Zensur“ ist mir folgender Gedanke gekommen:
    Prinzipiell ist Zensur und Zugangserschwerung im wesentlichen das gleiche. Nur das bei einer Erschwerung schon vorweggenommen wird, das diese ja nicht vollständig funktioniert, sondern es „nur schwerer“ macht.

    Da man sich ja der Unzulänglichkeiten einer Erschwerung bewusst ist (denn darin sind sich Gegner und Befürworter einig !) befürchte ich, das als Konsequenz daraus eine Überwachungsinfrastruktur geschaffen wird deren Folgen noch fataler sein können als man sich heute zu denken vermag.

    Denn Überwachung ist der Bruder der Zensur. Und Zugangserschwerung benötigt mehr Überwachung als Zensur.

    Grüße vom Niederrhein

    Rudolf Lörcks

  8. 21. Juni 2009 8:17 pm

    Ich glaube, dass EMMA wohl wissend der Lösch-Aktion des Ak Zensur, dieses Hassschrift verfasst hat: http://evildaystar.de/2009/06/emmamanipulation-alle-datenschutzer-sind-padophil-soll-die-herrschende-meinung-werden/

  9. 21. Juni 2009 8:33 pm

    Ich bete weiter mein Goldenes Kalb an…

    Daß der/die Autor(in) mit dem Zitat Heinrich Wefings dessen Kommentar in der ZEIT praktisch mitunterschreibt, spricht schon Bände.

    Abwarten, ob EMMA sich nicht zu fein ist, „Gegendarstellungen“ zu veröffentlichen.

  10. 22. Juni 2009 1:39 am

    Großartiger Brief, den ich so sofort unterschreiben würde. Vielleicht könntest du noch die Umgehung der Gewaltenteilung einbringen.

    Ich persönlich bin der Meinung, dass ein Teil der Begeisterung für dieses Gesetz auch darin begründet liegt, dass eine politisch erfolgreiche Frau und Mutter es initiiert hat. Käme dieses Gesetz von Herrn Schäuble, würde es vielleicht etwas kritischer hinterfragt werden – diesen Eindruck habe ich jedenfall beim Lesen eines Artikels zu diesem Thema in einer der Printausgaben gewonnen.
    Dieser fiel übrigens bei weitem nicht so hetzerisch aus, auch wenn da das altbekannte Argument „Hauptsache, man tut überhaupt etwas“ als Fazit stand.

  11. SwENSkE permalink
    22. Juni 2009 11:43 pm

    Schöner Brief – nur sind die EMMA und deren ‚Journalistinnen‘ samt Frontfrau Schwarzer vernünftigen Argumenten leider nicht zugänglich.
    Schwarzer war schon immer FÜR Zensur (PorNO-Kampagne) – spätestens seit ihrer Verteidigung des Militärregimes in Myanmar und ihrer Werbung für die BILD sollte sie auch der wohlmeinendste Mensch nicht mehr für voll nehmen.

    Die EMMA ist ein Haßblatt – dort wird übelste Demagogie betrieben, mit Journalismus hat das Ganze nicht das geringste zu tun. Um ganz ehrlich zu sein – dieser Artikel ist noch harmlos gegen das, was da teilweise sonst so abgesondert wird. Da werden Menschen diffamiert und zu Hexenjagden aufgerufen – auf dieses Niveau sinkt nicht mal die BILD herab.

    Schwarzer und ihr Hetzblatt am besten einfach ignorieren – auch die geringste Publicity für diese Frau ist schon zuviel.

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