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NSA-Überwachung: Gemischte Reaktionen auf Obama-Rede

21. Januar 2014
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US-Präsident Barack Obama hielt am vergangenen Freitag eine Rede, bei der er Veränderungen an den NSA-Überwachungsprogrammen ankündigte. Diese Programme waren in letzter Zeit, insbesondere durch die Veröffentlichungen des Whistleblowers Edward Snowden, massiv in die Kritik geraten.

Obamas Ankündigungen allerdings stießen nicht überall auf Zustimmung – auch nicht, wie es manche Menschen vielleicht angenommen hätten, bei den Verfechtern von mehr Bürgerrechten. Der Grund: die von Obama vorgeschlagenen Veränderungen werden von vielen kritischen Beobachtern als rein kosmetisch und bei Weitem nicht effektiv genug eingestuft. Nun ist Obama der Präsident, der „Change“ ankündigte und nun vor allem Business as Usual praktiziert, der „die transparenteste Regierung aller Zeiten“ versprach und dann reihenweise Whistleblower unter dem Espionage Act anklagte. Angesichts dieser Historie gebrochener oder nur pro forma erfüllter Freiheitsversprechen verwundert das halbherzige Vorgehen des US-Präsidenten in Sachen NSA-Affäre wohl nur besonders naive, besonders Obama-begeisterte oder mit der Materie noch nicht vertraute Menschen. Dennoch sind es die kritischen Stimmen wert, gehört und analysiert zu werden. Hier folgt daher eine kleine Zusammenstellung von Reaktionen auf Obamas NSA-Rede.

Wenig beeindruckt äußerte sich unter anderem Matt Simons, Sprecher des Think Tanks „ThoughtWorks“. Simons sagte gegenüber „TechNewsWorld„: „Wir haben nichts in seiner [Obamas] Rede oder seinen Vorschlägen gehört, das die Schäden reparieren wird, die an der Technologie-Industrie und der Zukunft des Internets verursacht wurden.“ Ähnlich negativ äußerte sich gegenüber TechNewsWorld auch Cindy Cohn, leitende Juristin der „Electronic Frontier Foundation“ (EFF). Cohn kritisierte, wichtige Themen wie die Notwendigkeit eines Richtervorbehalts für bestimmte Überwachungsmaßnahmen oder die Sicherheit von IT-Anwendungen und insbesondere Verschlüsselung seien von Obama gar nicht erwähnt worden.

Deutlicher wurde der – von mir sehr geschätzte – US-amerikanische Journalist Glenn Greenwald, der maßgeblich an der Veröffentlichung der Snowden-Enthüllungen mitwirkte. In seiner Kolumne beim britischen „Guardian“ bezeichnete Greenwald die Äußerungen Obamas in gewohnt direkter Art und Weise als „wenig mehr als ein PR-Manöver, um die Öffentlichkeit zu besänftigen. Die US-Regierung, so Greenwald, reagiere seit Jahrzehnten in derselben Art und Weise auf politische Skandale: es werde versucht, so zu tun, als nehme man öffentliche Verärgerung und Kritik ernst, als plane man Verbesserungen und wolle verhindern, die selben Fehler zu wiederholen. Dann jedoch werde das genaue Gegenteil getan, nämlich „das System mit leeren, kosmetischen ‚Reformen‘ hübscher und politisch erträglicher gemacht, um den öffentlichen Ärger zu besänftigen, während man das System grundsätzlich unverändert lässt, noch immuner als zuvor gegen ernsthaftes Hinterfragen“. Beeindruckt zeigt sich Greenwald nur von einem: Obamas schauspielerischem Talent, das es ihm ermöglicht, leidenschaftliche Bekenntnisse zu individuellen Freiheiten zu verkünden, ohne dabei loszulachen. Bezeichnend findet der Journalist, dass Obama zwar behauptet, die angestoßene Überwachungs-Debatte zu begrüßen, gleichzeitig aber nach wie vor fest entschlossen ist, den verantwortlichen Whistleblower Edward Snowden vor Gericht zu stellen (nicht nur das – Obama griff Snowden in seiner Rede auch in sehr deutlicher Art und Weise an; diesen Äußerungen werde ich unter Umständen einen separaten Blogeintrag widmen). Greenwalds Prognose: die von Obama vorgeschlagenen Reformen werden die kritisierten Überwachungs-Systeme nicht abschaffen oder deutlich einschränken, sondern eher noch das Ihrige zu ihrer längerfristigen Beibehaltung tun. „Letztendlich wird der radikale Grundsatz der NSA – ein System verdachtsloser Spionage gegen Hunderte Millionen Menschen in den USA und weltweit – voll bestehen bleiben, selbst wenn Obamas sämtliche Vorschläge umgesetzt werden.“ Obama, so Greenwald, habe von Anfang an deutlich gemacht, worum es ihm eigentlich gehe: er wolle primär das öffentliche Vertrauen in die NSA wieder herstellen. „In anderen Worten, das Ziel ist es nicht, die Behörde wirklich zu reformieren; es ist, die Leute so zu hintergehen, dass sie glauben, sie sei reformiert worden, so dass sie sie nicht länger fürchten oder wütend auf sie sind.“ Die Menschen, die wahre Veränderungen wollten, so Greenwald, sollten sich nicht auf Politiker verlassen – schon gar nicht auf Barack Obama. Vielmehr müsse der bereits vorhandene politische Druck, der Obama genötigt habe, diese Rede zu halten, weiter ausgebaut werden – so lange, bis die Regierung begreife, dass nur ernsthafte Veränderungen die Kritiker zufrieden stellen.

In eine ähnliche Richtung geht auch der – allerdings deutlich moderater formulierte – Kommentar „Obamas Konsequenzen aus dem NSA-Skandal – lange Rede, wenig Inhalt“ des heise-online-Journalisten Martin Holland. Obama, so Holland, sei in seiner Rede sehr wenig konkret geworden. Er sei auf viele konkrete Überwachungsprogramme gar nicht eingegangen, habe nur vage Äußerungen gemacht oder die Verantwortung an den Kongress abgeschoben. Zudem, so Holland, habe Obama zu suggerieren versucht, dass nicht die Überwachungsprogramme selbst das eigentliche Problem seien, sondern deren unautorisierte – laut Obama „unsachgemäße“ – Enthüllung durch Edward Snowden. Von Obama versprochene Verbesserungen seien durch das kleingedruckte der jeweiligen Vorschläge außerdem gleich wieder relativiert oder eingeschränkt worden.

Kritische bis enttäuschte Töne kommen auch aus der deutschen Politik. Die Reformvorschläge des US-Präsidenten hätten „leider nicht das grundsätzliche Problem aufgegriffen„, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Außenausschusses, Norbert Röttgen (CDU), dem „Tagesspiegel“. Bei der Abwägung zwischen den beiden Werten Sicherheit und Freiheit gebe es einen „transatlantischen Dissens„, sagte Röttgen mit Blick auf die Rede des US-Präsidenten, die inhaltlich „eher technischer Natur“ gewesen sei. Nun ist es schon nur noch als ironisch zu bezeichnen, dass ausgerechnet die Unionsparteien – die in den letzten Jahren immer wieder als Verfechter umfassender Überwachungsprogramme gegen deutsche Bürger auffielen – sich nun darüber beschweren, ihrerseits überwacht zu werden beziehungsweise ihren US-Verbündeten bei der Überwachung der Bundesbürger den Vortritt lassen zu müssen. Auch den angesprochenen transatlantischen Dissens suchen diejenigen, denen Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner, Netzsperren und massenhafte Kamera-Überwachung noch gut im Gedächtnis sind, wohl vergeblich. Nicht umsonst war der eigentliche Skandal für die Konservativen wohl eher die Überwachung des Bundeskanzlerinnen-Mobiltelefons als die von Millionen Bundesbürgern. George Orwell hatte in seinem Klassiker „Animal Farm“ eben durchaus recht – alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleiche als andere. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Äußerungen Röttgens in eine ähnliche Richtung gehen wie die derjenigen, die die NSA-Überwachung aus Überzeugung statt aus politischer Taktik kritisieren. Es bleibt abzuwarten, wohin dieses merkwürdige Zufallsbündnis führen wird. Die Bundesregierung jedenfalls hofft weiterhin – trotz gegenteiliger Signale aus Washington – auf ein No-Spy-Abkommen mit den USA.

Auch viele NSA-kritische Aktivisten, von der American Civil Liberties Union (ACLU) bis zu WikiLeaks-Chefredakteur Julian Assange, kritisierten Obamas Ankündigungen als unzureichend und nicht überzeugend. Kenneth Roth, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“, sagte im Rahmen eines Reuters-Interviews, Obama habe lediglich „einige vage Versprechungen“ geliefert und sich allzu viele Möglichkeiten für Ausnahme-Regelungen offen gelassen. Roth betonte außerdem, es gebe bislang keinen Beweis dafür, dass massenhafte Telekommunikations-Überwachung tatsächlich die Sicherheit erhöhe. Human Rights Watch warnte in seinem jährlichen Bericht davor, die NSA-Überwachung sende ein gefährliches Signal an autoritäre Regimes.

Im Laufe dieser Woche soll auch Edward Snowden selbst zu Obamas Plänen Stellung nehmen. Dies wird auf der „Free Snowden“-Website angekündigt. Es wird sicher interessant sein, zu sehen, wie derjenige, der die Enthüllungen anstieß – und dafür einen hohen Preis zahlte – Obamas Aussagen bewertet.

Interessanter Weise kamen kritische Stimmen gegenüber Obamas Ankündigungen jedoch auch vom entgegen gesetzten Ende des politischen Spektrums. So gehen beispielsweise der demokratischen Senatorin und Vorsitzenden des Senats-Geheimdienstausschusses, der von Greenwald als notorisches NSA-Fangirl kritisierten Dianne Feinstein, auch die vorgeschlagenen moderaten Reformen schon zu weit. Die vorgeschlagenen Kontrollmaßnahmen würden die gesammelten Daten dem sofortigen Zugriff der Behörden entziehen und so für gefährliche Verzögerungen sorgen, warnte Feinstein einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge. Datenschützer, Kritiker der Programme und diejenigen, die eine stärkere richterliche oder öffentliche Kontrolle dieser Programme fordern, seien sich anscheinend der terroristischen Bedrohung nur unzureichend bewusst, so die Senatorin.

Ganz ähnlich wie Feinstein äußerte sich auch ihr – politisch sehr ähnlich eingestelltes – Gegenstück im US-Repräsentantenhaus, der republikanische Senator Mike Rogers. Dieser kritisierte Obama dafür, in Bezug auf die NSA-Überwachung Unsicherheit geschaffen zu haben. Diese habe „schon jetzt einen gewissen negativen Einfluss auf [die] Fähigkeit [der Behörden], Amerikaner zu beschützen, indem [sie] Terroristen finden, die versuchen, die Vereinigten Staaten zu treffen„, so der Abgeordnete.

Die Fragen und Kritikpunkte bezüglich der NSA-Spionage, soviel lässt sich wohl mit Sicherheit sagen, sind durch Obamas Rede keinesfalls ausgeräumt worden. Eher wurden die politischen Gräben durch die Präsidenten-Rede noch vertieft. Was wird die Zukunft in dieser Frage bringen? Werden die Menschen tatsächlich, wie von Greenwald gefordert, öffentlich die Stimme erheben und ein Ende der verdachtslosen Überwachung fordern, oder gewinnen Mutlosigkeit und Gleichgültigkeit – wie leider so oft – die Oberhand? Um diese Fragen zu beantworten, müsste man Prophet sein. Allzu oft werden unerwartete Themen zum Beginn einer globalen Bewegung, und mindestens ebenso oft gehen Themen, die eigentlich das Potential hätten, zu einem solchen Signal zu werden, nach kurzer Zeit im kollektiven Vergessen unter. Was auch immer die Zukunft jedoch bringt – so ahnungslos wie früher werden die Menschen, was die massenhafte Überwachung durch US- und andere Behörden angeht, dank Edward Snowdens Enthüllungen nie wieder sein. Und schon das ist wahrscheinlich ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

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