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Selbstzensur²

15. September 2007
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Auch wenn einige Politiker diese Tatsache gern bestreiten und behaupten, dass uns der zunehmende Abbau unserer bürgerlichen Freiheiten mental überhaupt nicht beeinflusst (so dass wir uns selbstverständlich unbesorgt frei entfalten können, auch wenn an jeder Ecke eine Überwachungskamera steht und wir nicht sicher sein können, ob Vater Staat demnächst unsere Festplatte durchsucht), ist es, wenn man einmal unvoreingenommen über die Sache nachdenkt, relativ schnell klar, dass diese Gleichung nicht aufgehen kann. Wer weiß, dass er überwacht wird, verhält sich anders. Wir haben es hier zu tun mit dem Phänomen der Selbstzensur (mit dem sich auch unter anderem schon Bruce Schneier und Peter Schaar befasst haben). Das bedeutet: Wer weiß, dass er überwacht wird, traut sich teilweise nicht mehr, offen seine Meinung zu sagen, aus Angst, in Schwierigkeiten zu kommen. Er schränkt sich in seinen Handlungen ein, weil er eben nicht wissen kann, wer davon erfährt und welche Folgen das hat. Es entsteht ein Klima der Angst, in dem die private Lebensgestaltung ebenso leidet wie die Partizipation an unserer Demokratie. Selbstzensur bedeutet in dem Fall, dass man uns gar nicht erst daran hindern muss, bestimmte Dinge zu sagen oder zu tun- das erledigen wir selbst, aus Angst vor Repressionen. Nach außen hin kann man dann immer so tun, als wäre jeder frei, zu tun, was ihm passt- die Sperre ist ja im Kopf der Betroffenen und das ist schwer nachweisbar.

In Deutschland sind mittlerweile deutliche Anzeichen für eine solche Verhaltensweise zu beobachten. Aktivisten berichten, dass Leute „ihnen gerne helfen würden, aber Angst haben, in Schwierigkeiten zu kommen“. Junge Menschen gehen nicht auf Demos, obwohl sie deren Anliegen unterstützen, weil sie „nicht in irgendwelchen Karteien landen wollen“. Bisher sehr aktive Foren-Poster, die den Datenschutz befürworten, löschen ihre Accounts, um „weder sich noch die Betreiber in Schwierigkeiten zu bringen“. Blogs werden aus Angst vor Rechtsstreitigkeiten geschlossen oder aufgrund der Impressumspflicht gar nicht erst eröffnet. Und ich gebe offen zu, dass ich selbst (normalerweise alles andere als ein ängstlicher Typ) während der heißen Phase der Diskussion um §202c ein ziemlich unangenehmes Gefühl dabei hatte, in die komplett kameraüberwachte Bahnhofsbuchhandlung zu gehen und mir eine (zumindest damals noch) vollkommen legale IT-Security-Zeitschrift mit Live-CD zu kaufen. Gekauft habe ich sie trotzdem. Weil mich die Artikel interessierten und außerdem schon aus Prinzip, weil ich tue, was ich für richtig halte, und nicht, was meine Angst oder eine verantwortungsscheue Pseudo-Vernunft mir vorgeben. Aber diesen Schritt geht nicht jeder (was vollkommen legitim, aber deshalb nicht weniger traurig für uns alle ist)- mit möglicherweise ernsten Folgen für unsere Gesellschaft, wenn wir diesen Weg weitergehen. Sehr viele gute, wichtige Impulse könnten uns so verloren gehen.

Das alles ist besorgniserregend, aber es ist vom Ausmaß her noch harmlos gegen einen Fall, von dem Golem gestern berichtete. Unter dem Titel „US-Terrorverdächtiger gibt freiwillig Privatsphäre auf“ heißt es dort: Der ehemals unter Terrorismusverdacht stehende US-Bürger und Kunstprofessor Hasan Elahi hat zu seiner eigenen Sicherheit beschlossen, sein tägliches Leben vollständig öffentlich zu dokumentieren. Elahi hofft, auf diese Weise verhindern zu können, irgendwann unschuldig nach Guantanamo zu verschwinden, berichtet die ARD. Über den Titel des Beitrages kann man meiner Meinung nach streiten. Ich finde es ein Unding, unter den gegebenen Umständen von „Freiwilligkeit“ zu sprechen- wie frei kann jemand sein, der befürchtet, in Guantanamo zu landen? Jeder, der so etwas behauptet, sollte sich einmal fünf Minuten lang die dort herrschenden Haftbedingungen durch den Kopf gehen lassen. Hier geht es nicht um freie Entscheidung, sondern um Angst. Um so extreme Angst vor dem, was der Staat einem antun könnte, dass man sich gezwungen sieht, seine Rechte aufzugeben, um etwas noch schlimmeres zu verhindern. Wohlgemerkt- gezwungen, denn wie gesagt, von einer freien Entscheidung kann hier nach meinem Dafürhalten keine Rede mehr sein. Jemanden (gesetzlich oder mit Gewalt) zu zwingen, sich rund um die Uhr überwachen zu lassen, wäre im höchsten Maß verwerflich, aber es wäre wenigstens etwas, gegen das man konkret vorgehen könnte, beispielsweise auf juristischem Wege. Jemandem so viel Angst einzujagen, dass er sich „freiwillig“ für einen solchen Schritt entscheidet, ist meines Erachtens kaum weniger schlimm, möglicherweise sogar schlimmer- und es ist wesentlich subtiler und damit schwerer zu verhindern. „Wir haben keine Ahnung, wieso dieser Mensch so empfindet, wir sind ein demokratisches Land, halten uns an die Gesetze und wollen nur, dass alle in Frieden und Sicherheit leben,“ würde wohl die Antwort der Verantwortlichen lauten.

Wenn der Fall wirklich so vorgekommen ist, wie von Golem berichtet, wäre eine völlig neue Dimension von Selbstzensur und angstbedingtem Verhalten beim Bürger erreicht (und wenn nicht, sollte uns selbst die Tatsache, dass ein solcher Fall uns ohne weiteres vorstellbar erscheint, zu denken geben). Sicher ist dieser Fall extrem- aber „Extremfall“ bedeutet nicht „Einzelfall“. Das Schicksal von Herrn Elahi weist uns hin auf ein zugrunde liegendes Problem, dass uns (im mehr oder weniger großen Ausmaß) alle betrifft.

Und wollen wir dem Mann wirklich vorwerfen, dass er möglicherweise überreagiert? Jeder, der hier fassungslos den Kopf schüttelt, sollte sich einmal in Ruhe überlegen, wie er auf solche Erfahrungen reagieren würde, wie sie Herr Elahi offenbar gemacht hat: Hasan Elahi erging es wie vielen anderen auch, die im Zuge des weltweiten Kampfes gegen den Terror unschuldig unter Verdacht gerieten. Er wurde 2002 bei der Wiedereinreise in die USA während einer Passkontrolle verhaftet. Der Vorwurf lautete auf Unterstützung von Al-Qaida. Elahi soll Sprengstoff transportiert haben. Als Verdachtsmomente gelten dem Beamten der Grenzbehörde sein Name, sein arabisches Aussehen und die Tatsache, dass Elahi viel auf Reisen ist. Elahi wurde der Bundespolizei FBI übergeben, die ihn für ein halbes Jahr festhielt und seine Vergangenheit umkrempelte. Beweise gegen ihn fand das FBI nicht; eine Anklage wurde nicht erhoben. Elahi wurde schließlich wieder auf freien Fuß gesetzt – ohne Entschuldigung oder amtliches Entlastungsschreiben. Kann man es ihm verdenken, dass er so etwas nicht noch einmal erleben möchte? Dass er, wie wahrscheinlich 99% der Menschen, Angst empfindet bei dem Gedanken, an einem Ort wie Guantanamo eingesperrt zu werden?

Nein, wir dürfen nicht so tun, als ginge es hier nur um die Panikreaktion eines einzelnen Spinners. Das wäre zu einfach. Statt dessen müssen wir erkennen, dass in unserer Gesellschaft (der der USA, aber zunehmend auch der Deutschlands und Europas) etwas falsch läuft. Diese Angst, die Herr Elahi offenbar empfindet, droht, im großen Rahmen in unsere Gesellschaft Einzug zu halten und diese für immer zu verändern.

Verhindern können wir diese Tendenz nur, indem wir, die wir es noch können, unserer Angst nicht nachgeben. Indem wir tun, was wir für richtig halten, mutig unsere Meinung sagen und uns informieren über was wir wollen- und es beim besten Willen nicht einsehen, unsere Unschuld zu beweisen. Wieso sollte jemand, der sich nichts zuschulden kommen lässt, überwacht werden? Wieso sollte jemand, der unschuldig ist, Angst haben? Dies alles wollen wir nicht! Der Staat sollte uns beschützen und unsere Interessen wahren, er sollte uns nicht unterdrücken oder in Schrecken versetzen. Dem müssen wir uns entziehen und unsere demokratischen Freiheiten nutzen, damit wir sie auch in zehn oder zwanzig Jahren noch haben. Damit Fälle wie der von Hasan Elahi ein trauriges Extrem bleiben- oder noch besser, damit niemand mehr so etwas nötig hat.

8 Kommentare leave one →
  1. 15. September 2007 4:39 pm

    Ich stimme dir da vollkommen zu. Fälle von Selbstzensur findet man in letzter Zeit immer häufiger, sowohl im Internat als auch außerhalb. „Mit sowas muss man vorsichtig sein, sonst fallen aus versehen irgendwelche Anträge oder Formulare und werden erst nach Wochen gefunden.“ etc. Wenn wir uns von dieser Angst beeinflussen lassen, dann haben diejenigen die uns überwachen wollen gewonnen, alle Kritik verstummt und die Spirale dreht sich immer weiter… bis die Kameras irgendwann sogar in unseren Wohn- und Schlafzimmern stehen…

  2. 15. September 2007 10:45 pm

    *hier bitte minutenlangen, tosenden Applaus einfügen*

    Einfach nur ein absolut gelungener Artikel.
    Mehr kann ich dazu kaum noch sagen.

    Und selbstverständlich ist es mir eine Ehre, diesen zu verlinken, Schwester im Geiste 😉

  3. freiheitblog permalink*
    15. September 2007 11:01 pm

    Vielen Dank 🙂 das war mir einfach absolut wichtig und ich fand, es musste mal gesagt werden…

  4. 16. September 2007 3:11 pm

    Das Problem ist nur, daß es sich beim Problem des Herrn Elahi ursächlich nicht um Selbstzensur handelt, sondern um Rassismus. Der sieht komisch aus, der heißt komisch und der spricht komisch. Ein Kameltreiber wie der kann niemals genug Geld haben, um in der Welt herumzureisen, außer es kommt vom Bin Laden. „So einen“(tm) kann man schonmal ein halbes Jahr ins Loch stecken.

    Gut für ihn, daß er es geschafft hat, mit seiner Art, seine Erfahrung zu bewältigen, Öffentlichkeit für seinen Fall zu schaffen. Anderen „arabisch aussehenden“ Mitbürgern ist soviel Glück nicht vergönnt.

    Die braven Bürger, die nicht aussehen wie „so einer“(tm) und Müller, Schulze und Schmidt heißen, lockst Du mit einer derart lahmen Story aber nicht hinterm Ofen hervor. Schau Dir doch an, was die für Kurnaz und Al-Masri übrig haben. Nichts als Verachtung. Al-Masri ist nachweislich durchgedreht, und dann erst dieser Bart und der verschlagene Blick vom Kurnaz. Siehst Du erstmal scheiße aus oder bist psychisch am Ende, hast Du vom Rechtsstaat Deutschland und seinen aufrechten Bürgern nichts zu erwarten.

  5. freiheitblog permalink*
    16. September 2007 3:22 pm

    Die Problematik (dass arabisch aussehende Leute einen schweren Stand haben und es mit der Solidarität in der Bevölkerung nicht gerade so toll ist, vorsichtig ausgedrückt) kommt sicher hinzu. Ich halte das aber trotzdem nicht für ein exklusives Problem von Menschen arabischer Abstammung. Man kann sich auch verdächtig machen, indem man abweichende Ansichten hat oder die falschen Skills (lies z.B. mal, was sie mit TOR-Admins in Deutschland machen, im Rabenhorst-Blog ist dazu heute wieder ein sehr guter Artikel).
    Von „Bewältigung“ würde ich btw in Herrn Elahis Fall nicht reden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mit der derzeitigen Regelung glücklich (oder auch nur halbwegs zufrieden) ist. Der Begriff „Panikreaktion“ erscheint mir da schon eher angemessen. Sicher, sowas schafft auch Öffentlichkeit, aber glaubst du nicht, dass er die lieber für seine Kunst hätte? Oder politische/soziale Anliegen vertreten würde, ohne erst selbst seine Bürgerrechte aufgeben zu müssen?

    mfG Annika

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