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Traute Zweisamkeit

11. Dezember 2007

Wenn Bundesinnenminister Wolf*an* Schäuble und US-Heimatschutzminister Michael Chertoff sich treffen, um gemeinsam ein Interview zu geben, ahnt man nach den Vorstößen der beiden Herren in den vergangenen Monaten eigentlich schon, dass nichts Gutes dabei herauskommen kann. Aus der Sicht unseres Rechtsstaates gibt das allzu harmonische Verhältnis dieser beiden schon seit längerem Anlass zur Sorge, und nun sahen sich beide offenbar bemüßigt, diese Erwartungshaltung zu bestätigen.

Das Ergebnis dieser gemeinschaftlichen Aktivitäten ist ein kürzlich erschienenes Spiegel-Interview (PDF gibt es hier, einige Zitate bei annalist), in dem Schäuble und Chertoff in bestem Einvernehmen gegen so ziemlich alles zu Felde ziehen, was ihnen beim „Krieg gegen den Terror“ im Wege zu stehen scheint- vor allem also gewisse Grundrechte der Betroffenen.

Gefragt zu seiner Meinung zu Guantanamo brachte Schäuble wieder einmal eine neue (allerdings entschärfte) Variante seiner unsäglichen Äußerungen vom G6-Gipfel: „Jeder in Europa stimmt zu, dass Guantanamo nicht die Lösung sein kann. Da gibt es für mich kein Augenzwinkern. Gegen Guantanamo zu sein ist einfach, die Entwicklung konstruktiver Vorschläge ungleich schwieriger. Aber all das führt uns doch dazu, dass wir offen darüber nachdenken müsen, was die Alternativen sein können. Das tun wir.“ Ein Fortschritt gegenüber der Version 1.0 ist hier deutlich feststellbar: Immerhin distanziert sich unser Wolf*an* mittlerweile von den Geschehnissen in Guantanamo. Ob er doch einmal auf uns Blogger gehört hat, obwohl wir es doch bekanntlich nicht ernst meinen mit unserer Kritik? Oder sollte selbst bei unserem Bundesinnenminister noch so etwas wie gesunder Menschenverstand oder gar eine Restfähigkeit zur Selbstkritik zu finden sein? Der Rest der Aussage allerdings ist nach wie vor so inakzeptabel wie vor einer Woche- kurz zusammengefasst: Um gegen etwas zu sein, das die Menschenrechte verletzt, braucht man keine Alternativideen, sondern nur ein Mindestmaß an Verständnis für Ethik und die deutsche Rechtssprechung (war da nicht mal was mit Jurastudium…?). Abgesehen davon will die Alternativen, die Schäuble so einfallen könnten, angesichts der üblichen „Qualität“ seiner Ideen wahrscheinlich niemand wirklich hören. Wenn in diesen Kreisen „offenes Nachdenken“ gefordert wird, ist leider allzu oft das Überschreiten aus gutem Grund festgelegter Grenzen gemeint.

Da konnte Chertoff natürlich nicht zurückstehen und lieferte eine ebenso verblüffend einfache wie erschreckende Erklärung dafür, wieso man den in Guantanamo inhaftierten keinen fairen Prozess machen kann: „Zu Einzelfällen möchte ich mich nicht äußern, aber hier ist das Problem: Im amerikanischen Gerichtssaal unter amerikanischem Recht müssen wir Beweise in einer für alle Parteien nachprüfbaren Weise sammeln und Zeugen präsentieren. Wir können doch nicht in Afghanistan rumlaufen und die Taliban bitten, uns in Ruhe Tatortfotos schießen zu lassen.“ Hier wird gängiges Recht dermaßen verdreht, dass selbst juristischen Laien wie mir davon schwindlig wird. Die Unfähigkeit der Ermittlungsbehörden, Zeugen und Beweise für einen fairen Prozess zu sammeln, rechtfertigt nach Chertoffs Logik offenbar, Menschen jahrelang ohne Prozess einzusperren, unter Bedingungen, die die meisten Menschen sich noch nicht einmal vorstellen möchten. Wer es sich antut, diese Art der Rechtsauslegung logisch zuende zu denken, landet bei Vorstellungen, wie sie beängstigender kaum sein könnten. Ein Staat, der solche Prinzipien anwendet (wenn man von Prinzipien in diesem Kontext überhaupt sprechen will) ist nach meiner Definition kein Rechtsstaat mehr, oder zumindest auf dem allerbesten Wege, bald keiner mehr zu sein. Fragt sich noch irgendwer ernsthaft, wieso ich Chertoffs offenbar beträchtlichen Einfluss auf Schäuble bedenklich finde?

Man könnte noch eine Weile weitere Zitate bringen, die allesamt belegen, dass die Vorstellung dieser beiden Herren von einem Rechtsstaat wohl nicht die ist, die man bei der Einführung sowohl der amerikanischen Verfassung als auch des deutschen Grundgesetzes im Kopf hatte. Das allerdings dürfte kaum noch nötig sein, Beispiele für diese Einstellung gibt es nun wirklich mehr als genug. Einen Dialog allerdings muss man trotzdem herausgreifen, da er in seiner erschreckenden Deutlichkeit alle Zweifel an der Denkweise Chertoffs ausräumt:

Spiegel: Was ist denn mit den Berichten über die Misshandlungen von Gefangenen durch das sogenannte Waterboarding etwa, bei derm der Häftling fürchten muss zu ertrinken? Das ist doch der wahre Grund, warum Sie die Gerichte scheuen.

Chertoff: Nein. Für uns ist zum Beispiel schwierig, dass jeder Verdächtige in amerikanischen Verfahren das Recht auf einen Anwalt und Aussageverweigerung hat. (…)

Spiegel: Mit Verlaub, aber das Recht auf einen Anwalt ist eine der fundamentalen Errungenschaften des Rechtsstaats.

Chertoff: Nicht im Krieg. (…)

Die Art und Weise, in der dieser Mann Grundwerte seiner wie auch unserer Gesellschaft einfach ignoriert, sie als „Problem“ sieht, dass seinen Vorstellungen im Weg steht und daher abgeschafft oder umgangen werden muss, ist einfach nur noch widerlich. Mir fallen wenige Definitionen für den Begriff „Verfassungsfeind“ ein, die dieser Mann angesichts solcher Äußerungen nicht erfüllt. Ungeachtet der Frage, ob sich die USA nun im Kriegszustand befinden oder nicht (ich persönlich sehe kaum einen logischen und rechtlich haltbaren Grund, wieso sie das tun sollten)- auch ein Krieg rechtfertigt nicht alles, und ganz sicher nicht solche Gleichgültigkeit gegenüber Grund- und Menschenrechten. Hier hat sich jemand in das (an sich ja wichtige und lobenswerte) Ziel, die Sicherheit seiner Bürger sicherzustellen, derart verrannt, dass ihm außer diesem Ziel offenbar überhaupt nichts mehr wichtig ist; dass er glaubt, alles, dass ihm beim Verfolgen dieses Zieles im Wege steht, einfach beiseite wischen zu können, selbst wenn es sich dabei um die Grundsätze eines modernen Rechtsstaates handelt.

Was aus deutscher Sicht ebenso traurig wie für die aktuelle Situation bezeichnend ist: Jemand, der uns alle repräsentieren sollte, ein gewählter Volksvertreter, der unsere Interessen wahren und für das Grundgesetz eintreten sollte, sitzt bei derartigen verbalen Entgleisungen (möglicherweise trifft es das Wort Amoklauf schon fast besser) einfach nur dabei, ohne zu widersprechen. Schweigend, möglicherweise insgeheim zustimmend.

Die verfassungsrechtlichen Probleme im eigenen Land können die Amerikaner im wesentlichen nur selbst lösen; ob sie das können, ist zum derzeitigen Moment schwer zu sagen. Unsere eigenen das Grundgesetz nicht achtenden Politiker allerdings sind unser Problem, unsere Verantwortung; ihre Äußerungen und Handlungen bedeuten eine Verantwortung für uns alle. Uns, dem Volk, dem eigentlichen Herrscher in diesem Land, obliegt es, gefährliche und schädliche Entwicklungen durch politischen Druck zu korrigieren. Wer ernsthaft noch bezweifelt, dass eine solche Entwicklung hier vorliegt, dem empfehle ich, erst das Grundgesetz und anschließend noch einmal ein paar neuere Äußerungen von Wolf*an* Schäuble zu lesen; hinterher dürften sich die meisten Zweifel erledigt haben. Es kann nicht sein, dass jemand, der uns alle repräsentiert, dies tut, indem er sich an Werten vergreift, die für uns alle eine Bedeutung haben sollten.

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