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Kurze Ankündigung, die Zweite

27. Januar 2014
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Wie angekündigt habe ich mittlerweile die Blogroll aufgeräumt (sprich nicht mehr aktive Blogs entfernt; demnächst kommen dafür hoffentlich neue interessante Blogs dazu), die Sidebar etwas übersichtlicher gestaltet und ein paar weitere Kleinigkeiten verändert. Das aktuelle Theme (Vigilance) funktioniert meines Erachtens ganz gut und kann daher erst einmal bleiben (es sei denn, die Mehrheit meiner Leser wünscht sich dringend etwas anderes).

Soviel zur Form; die nächsten Beiträge werden sich dann wieder ganz den politischen Inhalten widmen. Wer diesbezüglich Wünsche, Vorschläge oder ähnliches hat, darf mir diese gerne zukommen lassen (E-Mail-Adresse wurde auch aktualisiert); für so etwas bin ich immer dankbar.

Also, man liest sich!

Kurze Ankündigung

22. Januar 2014
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Wie ihr schon gesehen habt, ist dieses Blog – unter anderem aufgrund der Veränderungen in meinem Berufsleben, insbesondere meines Weggangs von gulli:News – nach längerer Pause wieder aktiv. Wie aktiv, wird sich wohl im Laufe der Zeit zeigen und hängt vom Erfolg des Blogs ebenso wie von meinem Real Life ab. Themen jedenfalls gibt es zweifellos genug – die Überwachungsproblematik ist angesichts der Snowden-Enthüllungen zweifellos aktueller denn je, ebenso wie das Thema Whistleblowing, und in alter Tradition hat Deutschland auch wieder eine GroKo, gegen die man auf die Barrikaden gehen kann.

In nächster Zeit wird natürlich angesichts dieser Wiederbelebung auch die Sidebar aufgeräumt und von nicht mehr aktuellen oder nicht mehr erreichbaren Materialien befreit. Ich bitte euch diesbezüglich um etwas Geduld. Im Laufe der Zeit kommen dann natürlich auch neue Inhalte und Links dazu.

Also – auf ein Neues (Altes)!

Obama greift Snowden an

22. Januar 2014

Im Rahmen seiner Rede vom gestrigen Freitag (Reaktionen darauf sowie ein Video finden sich hier) kündigte Obama nicht nur – vielfach als rein kosmetisch kritisierte – Nachbesserungen bei NSA-Überwachungsprogrammen an. Er fühlte sich auch, obwohl dies in einem solchen Kontext eher nicht üblich ist, berufen, direkt Bezug auf Whistleblower Edward Snowden zu nehmen.

Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, erhob Obama gegen Snowden deutliche Vorwürfe. Die Verteidigung der Nation, so der US-Präsident, sei in erheblichem Ausmaß auf „die Treue derjenigen, denen die Geheimnisse [des Landes] anvertraut wurden, angewiesen„, so der US-Präsident.

Snowden, so hatte das Weiße Haus schon zuvor betont, hätte, ebenso wie andere Whistleblower, andere Möglichkeiten – nämlich die offiziellen Kanäle – gehabt, um seine Bedenken anzubringen und sich um Veränderungen zu bemühen. Was dabei jedoch nicht erwähnt wurde: Snowden, wie auch andere Whistleblower (unter anderem Bradley Manning) versuchte durchaus im Vorfeld des Whistleblowing, auf vorschriftsmäßigem Wege Veränderungen zu erwirken. Im Falle Snowden hielt diese Phase, wenn Snowdens umfassender Video-Stellungnahme kurz nach den PRISM-Veröffentlichungen geglaubt werden kann, sogar jahrelang an. Erst, als seine vorschriftsmäßigen Bemühungen nichts brachten, erst, als auch die angeblich so transparente und Bürgerrechts-interessierte Obama-Regierung es versäumte, Überwachung und andere Eingriffe in individuelle Freiheiten einzudämmen, griff Snowden zum radikalen Mittel des öffentlichen Leaking. Berücksichtigt man dies, ist die Argumentation der US-Regierung schon nicht mehr ganz so überzeugend.

Obama sagte am Freitag weiterhin: „Wenn jedes Individuum, das etwas gegen die Regierungspolitik hat, es in seine eigenen Hände nehmen kann, Geheiminformationen öffentlich bekannt zu machen, werden wir nicht mehr in der Lage sein, die Sicherheit unserer Bevölkerung zu garantieren oder Außenpolitik zu betreiben.

Der US-Präsident kritisierte außerdem die „sensationsheischende Art“, in der über die Enthüllungen berichtet worden sei (ganz im Gegensatz wahrscheinlich zu der ruhigen, besonnenen Art der Snowden-Gegner mitsamt Terrorpanik und Todesdrohungen). Diese habe zwar für Kontroversen gesorgt, aber nicht für eine sachliche Diskussion.

Natürlich durfte auch der in solchen Fällen immer wieder angebrachte Vorwurf nicht fehlen, Snowden habe die Gegner der USA mit seinem Verhalten unterstützt. Der Whistleblower habe „unseren Gegnern Methoden offenbart, die unsere Operationen in einer Art und Weise beeinträchtigen könnten, die womöglich wir auf Jahre hinaus nicht ermessen können„, sagte Obama.

Was ist von diesen Vorwürfen zu halten? Auf die mangelnde Überzeugungskraft des Arguments, Snowden habe sinnvolle Alternativen zu einer Veröffentlichung der Dokumente gehabt, bin ich oben bereits eingegangen. Ähnliches gilt für Obamas Aussage, er habe die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit schon zum Thema machen wollen, bevor die Snowden-Enthüllungen für soviel Aufsehen sorgten. Gehen wir einmal davon aus, dass dies der Wahrheit entspricht und keine reine Schutzbehauptung ist. Angesichts der Tatsache, dass selbst nach den Snowden-Enthüllungen von Obama fast nur Beschwichtigungen und kosmetische „Verbesserungsvorschläge“ kommen, das Papier kaum wert, auf dem sie stehen – was wäre ohne die Snowden-Enthüllungen von diesem Präsidenten zu erwarten? Nimmt irgendwer ernsthaft an, dass Obama, der sich so wortreich über die Enthüllung der NSA-Überwachungsprogramme aufregt, den Menschen in dieser Frage freiwillig die Wahrheit gesagt hätte? Dass er freiwillig tragfähige Reformen geplant hätte? Warum hätte er das tun sollen? Obama mag ein guter Rhetoriker sein – durch konsequentes Handeln hat er sich bislang nicht ausgezeichnet.

Ganz allgemein lässt sich sagen: Obama versucht, indem er den Überbringer der Botschaft, nämlich Snowden, angreift, von der Botschaft selbst abzulenken. Die US-Regierung ist wegen ihrer Handlungen in die Kritik geraten und versucht, darauf nicht eingehen zu müssen, indem sie sich darüber empört, dass die Menschen von ihren fragwürdigen Handlungen eigentlich gar nichts wissen sollten.

Einer von Snowdens Rechtsberatern, der Menschenrechts-Aktivist Jesselyn Radack, sagte, Obamas Angriffe gegen Snowden seien überflüssig gewesen und hätten die Problematik irreführender Weise so dargestellt, dass die Leute den Eindruck hätten, zwischen Freiheit und Sicherheit wählen zu müssen. Dem ist wenig hinzuzufügen. Wie viele andere Mächtige tut Obama so, als sei massive verdachtsunabhängige Überwachung notwendig für die Terrorabwehr (obwohl noch nicht einmal bewiesen ist, dass sie dabei hilfreich ist), als lauerten Terroristen an jeder Ecke und als werde die Sicherheit nicht auch durch willkürliche Ausweitung der eigenen Befugnisse gefährdet.

Hat Snowden durch sein Handeln, die Weitergabe der „ihm anvertrauten“ Daten, wie Obama suggeriert ehr- und verantwortungslos gehandelt? Diese Frage kann letztendlich nur jeder Mensch selbst beantworten. Ich aber denke, dass er dies auf keinen Fall getan hat. Die Verantwortung jedes Menschen umfasst nicht nur seine Arbeitgeber und sein Heimatland, sondern auch seine Mitmenschen. Edward Snowden glaubte, denjenigen, die ohne guten Grund Ziel von Überwachung wurden, schuldig zu sein, diese Überwachung offen zu legen. Das zeugt in meinen Augen von sehr viel Verantwortungsgefühl – gerade denjenigen gegenüber, die sich womöglich nicht selbst helfen können, die wahrscheinlich nichts für Edward Snowden tun können. Snowden handelte nach seinem Gewissen. Heißt das, dass, wie Obama es sagte, jeder Mensch, der mit der Regierungspolitik unzufrieden ist, die Angelegenheit in seine eigenen Hände nimmt und nach seinem Gewissen handelt? Ich würde es stark hoffen – als Horrorszenario kann ich die Option schwerlich sehen. Realistisch gesehen werden sich nun nicht alle Menschen ein Beispiel an Edward Snowden nehmen. Eine gewisse Vorbildfunktion könnte der Whistleblower jedoch durchaus einnehmen. Obama mag dies fürchten – viele Aktivisten und besorgte Bürger würden es mit Sicherheit begrüßen.

Nicht fehlen darf natürlich, gerade in den USA, auch der Appell an patriotische und nationalistische Gefühle. Snowden, so wird suggeriert, habe sich gegen die Belange seines Landes gestellt. Unabhängig davon, welcher Stellenwert derartigen Denkweisen im 21. Jahrhundert noch zukommt oder zukommen sollte (diese Frage werde ich womöglich ein andermal aufgreifen) – hat Snowden dies wirklich? Oder ist es nicht vielmehr so, dass der Mehrheit der Menschen, ebenso wie den Werten, auf deren Basis die USA (angeblich) gegründet wurden, durch Snowdens Verhalten weitaus eher gedient ist als durch die Vertuschungspolitik und das unhinterfragte Abnicken von exzessiven Kontrollmaßnahmen, wie es Herr Obama vormacht? Wer ist der wahre Patriot – das Staatsoberhaupt, das den Gefahren dieser Welt durch massive Beschneidungen individueller Rechte zu begegnen versucht und dies im öffentlichen Dialog beschönigt und verteidigt, oder der Whistleblower, der für seine Ideale sein bequemes Leben aufgibt und seine Freiheit auf’s Spiel setzt? Diese Fragen möge jeder für sich selbst beantworten.

Last but not least: die angebliche Offenlegung militärischer und geheimdienstlicher Methoden durch Edward Snowden (ein Vorwurf, mit dem sich unter anderem auch schon WikiLeaks und Bradley Manning auseinandersetzen mussten). Die nicht näher benannten „Feinde der USA“ konnten angeblich durch Snowdens Enthüllungen Vorteile gewinnen. Beweise, selbst konkrete Beispiele bleibt der US-Präsident schuldig. Somit lässt sich auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit – steht das Potential von Snowdens Enthüllungen, etwas gutes zu bewirken, im richtigen Verhältnis zum möglicherweise angerichteten Schaden – unmöglich beantworten. Dabei wäre sie durchaus sehr interessant. So allerdings muss man den Eindruck gewinnen, dass Obama weniger an einem kritischen Dialog als an Panikmache und Rufmord gegen Edward Snowden interessiert ist. Diese Tatsache jedoch können Snowden-Befürworter eigentlich nur als Erfolg werten: wer es nötig hat, so gegen einen politischen Gegner vorzugehen, fühlt sich bedroht. Ist das nicht großartig? Ein junger Mensch ohne Parteibuch oder politisches Amt, ohne Armee oder Großkonzern, bewaffnet nur mit Fachwissen, brisanten Enthüllungen und einem erstaunlichen Ausmaß an Mut, schafft es, dass  der Präsident des mächtigsten Landes der Welt sich und den politischen Status Quo bedroht sieht. Darauf, so mein persönliches Fazit aus der Obama-Rede, lässt sich aufbauen.

NSA-Überwachung: Gemischte Reaktionen auf Obama-Rede

21. Januar 2014
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US-Präsident Barack Obama hielt am vergangenen Freitag eine Rede, bei der er Veränderungen an den NSA-Überwachungsprogrammen ankündigte. Diese Programme waren in letzter Zeit, insbesondere durch die Veröffentlichungen des Whistleblowers Edward Snowden, massiv in die Kritik geraten.

Obamas Ankündigungen allerdings stießen nicht überall auf Zustimmung – auch nicht, wie es manche Menschen vielleicht angenommen hätten, bei den Verfechtern von mehr Bürgerrechten. Der Grund: die von Obama vorgeschlagenen Veränderungen werden von vielen kritischen Beobachtern als rein kosmetisch und bei Weitem nicht effektiv genug eingestuft. Nun ist Obama der Präsident, der „Change“ ankündigte und nun vor allem Business as Usual praktiziert, der „die transparenteste Regierung aller Zeiten“ versprach und dann reihenweise Whistleblower unter dem Espionage Act anklagte. Angesichts dieser Historie gebrochener oder nur pro forma erfüllter Freiheitsversprechen verwundert das halbherzige Vorgehen des US-Präsidenten in Sachen NSA-Affäre wohl nur besonders naive, besonders Obama-begeisterte oder mit der Materie noch nicht vertraute Menschen. Dennoch sind es die kritischen Stimmen wert, gehört und analysiert zu werden. Hier folgt daher eine kleine Zusammenstellung von Reaktionen auf Obamas NSA-Rede.

Wenig beeindruckt äußerte sich unter anderem Matt Simons, Sprecher des Think Tanks „ThoughtWorks“. Simons sagte gegenüber „TechNewsWorld„: „Wir haben nichts in seiner [Obamas] Rede oder seinen Vorschlägen gehört, das die Schäden reparieren wird, die an der Technologie-Industrie und der Zukunft des Internets verursacht wurden.“ Ähnlich negativ äußerte sich gegenüber TechNewsWorld auch Cindy Cohn, leitende Juristin der „Electronic Frontier Foundation“ (EFF). Cohn kritisierte, wichtige Themen wie die Notwendigkeit eines Richtervorbehalts für bestimmte Überwachungsmaßnahmen oder die Sicherheit von IT-Anwendungen und insbesondere Verschlüsselung seien von Obama gar nicht erwähnt worden.

Deutlicher wurde der – von mir sehr geschätzte – US-amerikanische Journalist Glenn Greenwald, der maßgeblich an der Veröffentlichung der Snowden-Enthüllungen mitwirkte. In seiner Kolumne beim britischen „Guardian“ bezeichnete Greenwald die Äußerungen Obamas in gewohnt direkter Art und Weise als „wenig mehr als ein PR-Manöver, um die Öffentlichkeit zu besänftigen. Die US-Regierung, so Greenwald, reagiere seit Jahrzehnten in derselben Art und Weise auf politische Skandale: es werde versucht, so zu tun, als nehme man öffentliche Verärgerung und Kritik ernst, als plane man Verbesserungen und wolle verhindern, die selben Fehler zu wiederholen. Dann jedoch werde das genaue Gegenteil getan, nämlich „das System mit leeren, kosmetischen ‚Reformen‘ hübscher und politisch erträglicher gemacht, um den öffentlichen Ärger zu besänftigen, während man das System grundsätzlich unverändert lässt, noch immuner als zuvor gegen ernsthaftes Hinterfragen“. Beeindruckt zeigt sich Greenwald nur von einem: Obamas schauspielerischem Talent, das es ihm ermöglicht, leidenschaftliche Bekenntnisse zu individuellen Freiheiten zu verkünden, ohne dabei loszulachen. Bezeichnend findet der Journalist, dass Obama zwar behauptet, die angestoßene Überwachungs-Debatte zu begrüßen, gleichzeitig aber nach wie vor fest entschlossen ist, den verantwortlichen Whistleblower Edward Snowden vor Gericht zu stellen (nicht nur das – Obama griff Snowden in seiner Rede auch in sehr deutlicher Art und Weise an; diesen Äußerungen werde ich unter Umständen einen separaten Blogeintrag widmen). Greenwalds Prognose: die von Obama vorgeschlagenen Reformen werden die kritisierten Überwachungs-Systeme nicht abschaffen oder deutlich einschränken, sondern eher noch das Ihrige zu ihrer längerfristigen Beibehaltung tun. „Letztendlich wird der radikale Grundsatz der NSA – ein System verdachtsloser Spionage gegen Hunderte Millionen Menschen in den USA und weltweit – voll bestehen bleiben, selbst wenn Obamas sämtliche Vorschläge umgesetzt werden.“ Obama, so Greenwald, habe von Anfang an deutlich gemacht, worum es ihm eigentlich gehe: er wolle primär das öffentliche Vertrauen in die NSA wieder herstellen. „In anderen Worten, das Ziel ist es nicht, die Behörde wirklich zu reformieren; es ist, die Leute so zu hintergehen, dass sie glauben, sie sei reformiert worden, so dass sie sie nicht länger fürchten oder wütend auf sie sind.“ Die Menschen, die wahre Veränderungen wollten, so Greenwald, sollten sich nicht auf Politiker verlassen – schon gar nicht auf Barack Obama. Vielmehr müsse der bereits vorhandene politische Druck, der Obama genötigt habe, diese Rede zu halten, weiter ausgebaut werden – so lange, bis die Regierung begreife, dass nur ernsthafte Veränderungen die Kritiker zufrieden stellen.

In eine ähnliche Richtung geht auch der – allerdings deutlich moderater formulierte – Kommentar „Obamas Konsequenzen aus dem NSA-Skandal – lange Rede, wenig Inhalt“ des heise-online-Journalisten Martin Holland. Obama, so Holland, sei in seiner Rede sehr wenig konkret geworden. Er sei auf viele konkrete Überwachungsprogramme gar nicht eingegangen, habe nur vage Äußerungen gemacht oder die Verantwortung an den Kongress abgeschoben. Zudem, so Holland, habe Obama zu suggerieren versucht, dass nicht die Überwachungsprogramme selbst das eigentliche Problem seien, sondern deren unautorisierte – laut Obama „unsachgemäße“ – Enthüllung durch Edward Snowden. Von Obama versprochene Verbesserungen seien durch das kleingedruckte der jeweiligen Vorschläge außerdem gleich wieder relativiert oder eingeschränkt worden.

Kritische bis enttäuschte Töne kommen auch aus der deutschen Politik. Die Reformvorschläge des US-Präsidenten hätten „leider nicht das grundsätzliche Problem aufgegriffen„, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Außenausschusses, Norbert Röttgen (CDU), dem „Tagesspiegel“. Bei der Abwägung zwischen den beiden Werten Sicherheit und Freiheit gebe es einen „transatlantischen Dissens„, sagte Röttgen mit Blick auf die Rede des US-Präsidenten, die inhaltlich „eher technischer Natur“ gewesen sei. Nun ist es schon nur noch als ironisch zu bezeichnen, dass ausgerechnet die Unionsparteien – die in den letzten Jahren immer wieder als Verfechter umfassender Überwachungsprogramme gegen deutsche Bürger auffielen – sich nun darüber beschweren, ihrerseits überwacht zu werden beziehungsweise ihren US-Verbündeten bei der Überwachung der Bundesbürger den Vortritt lassen zu müssen. Auch den angesprochenen transatlantischen Dissens suchen diejenigen, denen Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner, Netzsperren und massenhafte Kamera-Überwachung noch gut im Gedächtnis sind, wohl vergeblich. Nicht umsonst war der eigentliche Skandal für die Konservativen wohl eher die Überwachung des Bundeskanzlerinnen-Mobiltelefons als die von Millionen Bundesbürgern. George Orwell hatte in seinem Klassiker „Animal Farm“ eben durchaus recht – alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleiche als andere. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Äußerungen Röttgens in eine ähnliche Richtung gehen wie die derjenigen, die die NSA-Überwachung aus Überzeugung statt aus politischer Taktik kritisieren. Es bleibt abzuwarten, wohin dieses merkwürdige Zufallsbündnis führen wird. Die Bundesregierung jedenfalls hofft weiterhin – trotz gegenteiliger Signale aus Washington – auf ein No-Spy-Abkommen mit den USA.

Auch viele NSA-kritische Aktivisten, von der American Civil Liberties Union (ACLU) bis zu WikiLeaks-Chefredakteur Julian Assange, kritisierten Obamas Ankündigungen als unzureichend und nicht überzeugend. Kenneth Roth, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“, sagte im Rahmen eines Reuters-Interviews, Obama habe lediglich „einige vage Versprechungen“ geliefert und sich allzu viele Möglichkeiten für Ausnahme-Regelungen offen gelassen. Roth betonte außerdem, es gebe bislang keinen Beweis dafür, dass massenhafte Telekommunikations-Überwachung tatsächlich die Sicherheit erhöhe. Human Rights Watch warnte in seinem jährlichen Bericht davor, die NSA-Überwachung sende ein gefährliches Signal an autoritäre Regimes.

Im Laufe dieser Woche soll auch Edward Snowden selbst zu Obamas Plänen Stellung nehmen. Dies wird auf der „Free Snowden“-Website angekündigt. Es wird sicher interessant sein, zu sehen, wie derjenige, der die Enthüllungen anstieß – und dafür einen hohen Preis zahlte – Obamas Aussagen bewertet.

Interessanter Weise kamen kritische Stimmen gegenüber Obamas Ankündigungen jedoch auch vom entgegen gesetzten Ende des politischen Spektrums. So gehen beispielsweise der demokratischen Senatorin und Vorsitzenden des Senats-Geheimdienstausschusses, der von Greenwald als notorisches NSA-Fangirl kritisierten Dianne Feinstein, auch die vorgeschlagenen moderaten Reformen schon zu weit. Die vorgeschlagenen Kontrollmaßnahmen würden die gesammelten Daten dem sofortigen Zugriff der Behörden entziehen und so für gefährliche Verzögerungen sorgen, warnte Feinstein einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge. Datenschützer, Kritiker der Programme und diejenigen, die eine stärkere richterliche oder öffentliche Kontrolle dieser Programme fordern, seien sich anscheinend der terroristischen Bedrohung nur unzureichend bewusst, so die Senatorin.

Ganz ähnlich wie Feinstein äußerte sich auch ihr – politisch sehr ähnlich eingestelltes – Gegenstück im US-Repräsentantenhaus, der republikanische Senator Mike Rogers. Dieser kritisierte Obama dafür, in Bezug auf die NSA-Überwachung Unsicherheit geschaffen zu haben. Diese habe „schon jetzt einen gewissen negativen Einfluss auf [die] Fähigkeit [der Behörden], Amerikaner zu beschützen, indem [sie] Terroristen finden, die versuchen, die Vereinigten Staaten zu treffen„, so der Abgeordnete.

Die Fragen und Kritikpunkte bezüglich der NSA-Spionage, soviel lässt sich wohl mit Sicherheit sagen, sind durch Obamas Rede keinesfalls ausgeräumt worden. Eher wurden die politischen Gräben durch die Präsidenten-Rede noch vertieft. Was wird die Zukunft in dieser Frage bringen? Werden die Menschen tatsächlich, wie von Greenwald gefordert, öffentlich die Stimme erheben und ein Ende der verdachtslosen Überwachung fordern, oder gewinnen Mutlosigkeit und Gleichgültigkeit – wie leider so oft – die Oberhand? Um diese Fragen zu beantworten, müsste man Prophet sein. Allzu oft werden unerwartete Themen zum Beginn einer globalen Bewegung, und mindestens ebenso oft gehen Themen, die eigentlich das Potential hätten, zu einem solchen Signal zu werden, nach kurzer Zeit im kollektiven Vergessen unter. Was auch immer die Zukunft jedoch bringt – so ahnungslos wie früher werden die Menschen, was die massenhafte Überwachung durch US- und andere Behörden angeht, dank Edward Snowdens Enthüllungen nie wieder sein. Und schon das ist wahrscheinlich ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

Radiosendung zu Netzsperren

26. Juni 2009

Am gestrigen Donnerstag habe ich mich, zusammen mit Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, an einer Radiosendung des FSK Hamburg zum Thema Netzsperren und „Zensursula“ beteiligt. Das Ganze war live, so richtig perfekt wird das ja nie, aber ich bin im Großen und Ganzen zufrieden damit, wie es lief. Es wurde eine interessante Diskussion, bei der die wichtigen Argumente ihren Platz fanden.

Mittlerweile gibt es die Sendung auch als Podcast im Netz. Die Audio-Datei, Hintergrundinformationen und eine Möglichkeit für Kommentare findet ihr hier.

Offener Brief an die EMMA (2. Fassung)

22. Juni 2009

Sehr geehrte Mitglieder der EMMA-Redaktion,

In Ihrem Artikel “Meinungsfreiheit für Kinderpornos?” nehmen Sie Bezug auf die aktuellen Pläne unserer Regierung, dokumentierten Kindesmissbrauch (“Kinderpornographie”) im Internet mit Hilfe von Netzsperren zu bekämpfen. Dabei tätigen Sie einige Aussagen, die ich als Gegnerin dieser Vorhaben so nicht stehen lassen kann und will. Daher möchte ich meine Sicht der Dinge kurz erläutern.

In Ihrem Artikel geben Sie zunächst sehr richtig die Argumente der Protestbewegung wieder, dass derartige Netzsperren die Inhalte nur verdecken, statt sie zu entfernen, und dass einer Zensur Vorschub geleistet wird. Ihre Gegenargumente jedoch sind größtenteils für mich nicht nachvollziehbar.

Bezüglich der Aussage Ursula von der Leyens, die Netzsperren seien lediglich “Teil eines Gesamtplans” zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und dessen Dokumentation muss sich die Ministerin die Frage gefallen lassen, was sie diesbezüglich bisher unternommen hat. Ist sie wirklich so konsequent, oder versucht sie dies lediglich, pünktlich zum Wahlkampf, durch Netzsperren-Aktionismus zu suggerieren? Einiges spricht für letztere Einschätzung, siehe: Die um eine Woche vorgezogene Verkündigung des Abkommens mit den Netzbetreibern, sowie die Verkündigung einer rechtlichen Konstruktion zur Durchsetzung dieses Ziels, die letztlich durch die jetzige Fassung deutlich konterkariert wird.

Ihre Aussage “Das macht in der Tat zum Beispiel dann Sinn, wenn der Server, auf dem die Seite liegt, im Ausland steht, so dass Bürokratie oder fehlende Rechtshilfe abkommen das Abschalten erheblich schwieriger machen”, entspricht nur teilweise der Realität. Wie der Chaos Computer Club (CCC) und der Verein Missbrauchsopfer gegen Internetsperren (MOGIS), deren Engagement für die Bekämpfung sogenannter Kinderpornos, wie Sie sehen, gar nicht so gering ist, wie der Artikel suggeriert, umfangreich dokumentiert haben, steht ein erheblicher Teil der Server, auf denen derartiges Material angeboten wird, in Deutschland oder im europäischen Ausland. Eine Löschung des Materials und Verfolgung der Täter sollte also durchaus im Bereich des Möglichen liegen. Auch die mangelnde Kooperation der Provider erwies sich bei einer Aktion des von Ihnen erwähnten Arbeitskreises gegen Internetsperren und Zensur nicht als großes Problem: Die Aktivisten konnten innerhalb von 12 Stunden die Löschung von 60 Seiten mit sogenannten Kinderpornos veranlassen. Dies funktionierte sowohl innerhalb Deutschlands als auch im Ausland. Wenn bereits eine Gruppe von Aktivisten einen derartigen Erfolg erzielen kann, wieviel eher müsste dies dann staatlichen Stellen mit ihrem ungleich größeren Einfluss gelingen? Durchaus wären wir als Protestbewegung auch bereit, uns für eine bessere personelle und materielle Situation der zuständigen Behörden einzusetzen – die von ihnen gewünschte Petition, obwohl wohl von Ihnen eher als Herausforderung verstanden, wäre für die meisten von uns unter den richtigen Rahmenbedingungen sehr unterstützenswert.

Leider bereits häufig gegen die Protestbewegung vorgebracht wurde das Argument, dass die dort beteiligten Menschen, wie sie es formulieren, sich das Internet als “antibürgerliche Gegengesellschaft, das nach dem Willen so manchen Nerds tunlichst ein rechtsfreier Raum bleiben soll” wünschen. Weder sind wir alle Nerds (es ist verwunderlich, dass ausgerechnet Sie als feministische Publikation eine engagierte und sozial sehr kompetente Frau wie Franziska Heine derart herablassend titulieren), noch wünschen wir uns Rechtsfreiheit. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Mitstreiter unserer Bewegung so denkt – auf die überwältigende Mehrheit dürfte dies jedoch nicht zutreffen. Wäre uns an Rechtsfreiheit gelegen, welchen Grund hätten wir dann, uns so vehement im Rahmen eines demokratischen Dialoges, mit legalen und friedlichen Mitteln, gegen eine von uns als falsch angesehene Politik zur Wehr zu setzen? Wären wir lediglich am Internet und dem dortigen Praktizieren einer “Rechtsfreiheit” interessiert, dürfte es für viele der technisch versierten Mitglieder der Bewegung ein Leichtes sein, dies durch technische Mittel auch unabhängig von den Bemühungen der Regierung zu praktizieren. Technische Mittel wie VPNs und Verschlüsselung bieten diesbezüglich so einige Möglichkeiten. Das jedoch liegt gar nicht in unserem Interesse. Wir wollen keine Rechtsfreiheit (und übrigens auch keinen Täterschutz; dies ausgerechnet einer Gruppierung zu unterstellen, zu der Menschen gehören, die selbst missbraucht wurden, ist geschmacklos). Wir fühlen uns vielmehr rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet und nehmen deswegen am gesellschaftlichen Dialog teil. Wir sehen uns nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern als Teil derselben, und wir wollen Freiheit nicht nur für einige technisch versierte Menschen, sondern für jeden in diesem Land.

Wie wichtig gerade das Internet, als schnelle und dezentral organisiertes Medium der Kommunikation und des Informationsaustauschs, für die Freiheit sein kann, zeigen aktuell beispielsweise die Geschehnisse im Iran und in China. Hier wirkt das Internet sowohl als Förderer als auch als Ausdrucksmittel der Demokratie, Freiheit und der Menschenrechte. Dies, und nicht eine „antibürgerliche Parallelgesellschaft“, ist unser Ideal.

Inwiefern, werden Sie sich vielleicht fragen, gefährdet das neue Netzsperren-Gesetz den Rechtsstaat? Uns geht es dabei keineswegs um irgendein “Recht auf Kinderpornos” – für deren Löschung treten wir ebenso entschieden ein wie für eine Strafverfolgung der Täter. Das Problem bei dem nun verabschiedeten Gesetz ist allerdings folgendes: Gesperrt werden nicht Kinderpornos. Gesperrt werden alle Seiten, die vom Bundeskriminalamt (BKA) anhand bisher unbekannter Kriterien als kinderpornographisch eingestuft werden. Das ist, auch wenn es zunächst nicht so erscheinen mag, ein großer Unterschied – ein Unterschied, der uns bewegt, im Bezug auf dieses Gesetz von Zensur zu sprechen. Dem BKA kommt hier die Rolle zu, zu entscheiden, welche Inhalte man als Internetnutzer sehen darf und welche nicht. Damit übernimmt es eine erhebliche Macht über unser Lernen, Denken und Handeln. Es muss kaum betont werden, wie leicht hierbei, irrtümlich oder böswillig, auch Seiten gesperrt werden könnten, die keinen dokumentierten Kindesmissbrauch enthalten. Dies ist in anderen Ländern, die ähnliche Netzsperren praktizieren, nachweislich bereits geschehen. Geplante Kontrollmechanismen sind kaum wirksam und können diesen Verstoß gegen die Gewaltenteilung, die Aushebelung demokratischer Kontrollmechanismen, keineswegs aufheben.

Das BKA, ein Teil der Exekutive, entscheidet hier, welche Inhalte strafbar und einer Sperrung würdig sind. Dies ist nicht im Sinne eines Rechtsstaats. Von Anfang an wurde die Trennung der Gewalten in Exekutive, Legislative und Jurisdiktion sowie die gegenseitige Kontrolle verschiedener mit Machtbefugnissen ausgestatteter Stellen als essentieller Teil eines Rechtsstaats angesehen. Zu recht nahm man an, dass eine Aufweichung oder Abschaffung dieser Trennung die Gefahr der Unfreiheit und des Unrechts bergen würde – und genau diese Gefahr sehen wir durch die Einführung der Netzsperren gegeben. Deswegen, und nicht aufgrund der von Ihnen angenommenen Motive, lehnen wir die Netzsperren ab.

Ich hoffe, dass Sie über die vorgebrachten Argumente nachdenken und wir in Zukunft in einen konstruktiveren, von Respekt gekennzeichneten Dialog treten können.

Mit freundlichen Grüßen,
Annika Kremer

Piraten-Video

22. Juni 2009

Ich bin ja normalerweise nicht so für diesen Parteikram zu haben, aber dieses Video ist einfach sehr gut gemacht, und, was viel wichtiger ist, es geht um ein Anliegen, das ich mit den Piraten und zahlreichen anderen Engagierten teile. Im Kampf gegen Zensur und die Untergrabung der Gewaltenteilung ist Solidarität geboten.

Offener Brief an die EMMA (1. Fassung)

21. Juni 2009

Sehr geehrte Mitglieder der EMMA-Redaktion,

in Ihrem Artikel “Meinungsfreiheit für Kinderpornos?” nehmen Sie Bezug auf die aktuellen Pläne unserer Regierung, dokumentierten Kindesmissbrauch (“Kinderpornographie”) im Internet mit Hilfe von Netzsperren zu bekämpfen. Dabei tätigen Sie einige Aussagen, die ich als Gegnerin dieser Vorhaben so nicht stehen lassen kann und will. Daher möchte ich meine Sicht der Dinge kurz erläutern.

In Ihrem Artikel geben Sie zunächst sehr richtig die Argumente der Protestbewegung wieder, dass derartige Netzsperren die Inhalte nur verdecken, statt sie zu entfernen, und dass einer Zensur Vorschub geleistet wird. Ihre Gegenargumente jedoch sind teilweise für mich in keiner Weise nachvollziehbar.

Bezüglich der Aussage Ursula von der Leyens, die Netzsperren seien lediglich “Teil eines Gesamtplans” zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und dessen Dokumentation muss sich die Ministerin die Frage gefallen lassen, was sie diesbezüglich bisher unternommen hat. Ist sie wirklich so konsequent, oder versucht sie dies lediglich, pünktlich zum Wahlkampf, durch Netzsperren-Aktionismus zu suggerieren?

Ihre Aussage “Das macht in der Tat zum Beispiel dann Sinn, wenn der Server, auf dem die Seite liegt, im Ausland steht, so dass Bürokratie oder fehlende Rechtshilfe abkommen das Abschalten erheblich schwieriger machen”, entspricht nur teilweise der Realität. Wie der Chaos Computer Club (CCC) und der Verein Missbrauchsopfer gegen Internetsperren (MOGIS), deren Engagement für die Bekämpfung sogenannter Kinderpornos, wie Sie sehen, gar nicht so gering ist, wie der Artikel suggeriert, umfangreich dokumentiert haben, steht ein Großteil der Server, auf denen derartiges Material angeboten wird, in Deutschland oder im europäischen Ausland. Eine Löschung des Materials und Verfolgung der Täter sollte also durchaus im Bereich des Möglichen liegen. Auch die mangelnde Kooperation der Provider erwies sich bei einer Aktion des von Ihnen erwähnten Arbeitskreises gegen Internetsperren und Zensur nicht als großes Problem: Die Aktivisten konnten innerhalb von 12 Stunden die Löschung von 60 Seiten mit sogenannten Kinderpornos veranlassen. Dies funktionierte sowohl innerhalb Deutschlands als auch im Ausland. Wenn bereits eine Gruppe von Aktivisten einen derartigen Erfolg erzielen kann, wieviel eher müsste dies dann staatlichen Stellen mit ihrem ungleich größeren Einfluss gelingen?

Leider bereits häufig gegen die Protestbewegung vorgebracht wurde das Argument, dass die dort beteiligten Menschen, wie sie es formulieren, sich das Internet als “antibürgerliche Gegengesellschaft, das nach dem Willen so manchen Nerds tunlichst ein rechtsfreier Raum bleiben soll” wünschen. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Mitstreiter unserer Bewegung so denkt – auf die überwältigende Mehrheit dürfte dies jedoch nicht zutreffen. Wäre uns an Rechtsfreiheit gelegen, welchen Grund hätten wir dann, uns so vehement im Rahmen eines demokratischen Dialoges, mit legalen und friedlichen Mitteln, gegen eine von uns als falsch angesehene Politik zur Wehr zu setzen? Wären wir lediglich am Internet und dem dortigen Praktizieren einer “Rechtsfreiheit” interessiert, dürfte es für viele der technisch versierten Mitglieder der Bewegung ein leichtes zu sein, dies durch technische Mittel auch unabhängig von den Bemühungen der Regierung zu praktizieren. Technische Mittel wie VPNs und Verschlüsselung bieten diesbezüglich so einige Möglichkeiten. Das jedoch liegt gar nicht in unserem Interesse. Wir wollen keine Rechtsfreiheit (und übrigens auch keinen Täterschutz; dies ausgerechnet einer Gruppierung zu unterstellen, zu der Menschen gehören, die selbst missbraucht wurden, grenzt an Geschmacklosigkeit), wir fühlen uns vielmehr rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet und nehmen deswegen am gesellschaftlichen Dialog teil. Wir sehen uns nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern als Teil derselben, und wir wollen Freiheit nicht nur für einige technisch versierte Menschen, sondern für jeden in diesem Land.

Inwiefern, werden Sie sich vielleicht fragen, gefährdet das neue Netzsperren-Gesetz den Rechtsstaat? Uns geht es dabei keineswegs um irgendein “Recht auf Kinderpornos” – für deren Löschung treten wir ebenso entschieden ein wie für eine Strafverfolgung der Täter. Das Problem bei dem nun verabschiedeten Gesetz ist allerdings folgendes: Gesperrt werden nicht Kinderpornos. Gesperrt werden alle Seiten, die vom Bundeskriminalamt (BKA) anhand bisher unbekannter Kriterien als kinderpornographisch eingestuft werden. Das ist, auch wenn es zunächst nicht so erscheinen mag, ein großer Unterschied – ein Unterschied, der uns bewegt, im Bezug auf dieses Gesetz von Zensur zu sprechen. Dem BKA kommt hier die Rolle zu, zu entscheiden, welche Inhalte man als Internetnutzer sehen darf und welche nicht. Damit übernimmt es eine erhebliche Macht über unser Lernen, Denken und Handeln. Es muss kaum betont werden, wie leicht hierbei, irrtümlich oder böswillig, auch Seiten gesperrt werden könnten, die keinen dokumentierten Kindesmissbrauch enthalten. Dies ist in anderen Ländern, die ähnliche Netzsperren praktizieren, nachweislich bereits geschehen. Geplante Kontrollmechanismen sind kaum wirksam und können diesen Verstoß gegen die Gewaltenteilung, die Aushebelung demokratischer Kontrollmechanismen, keineswegs aufheben. Das BKA, ein Teil der Exekutive, entscheidet hier, welche Inhalte strafbar und einer Sperrung würdig sind. Dies ist nicht im Sinne eines Rechtsstaats. Deswegen, und nicht aufgrund der von Ihnen angenommenen Motive, lehnen wir die Netzsperren ab.

Ich hoffe, dass Sie über die vorgebrachten Argumente nachdenken und wir in Zukunft in einen konstruktiveren, von Respekt gekennzeichneten Dialog treten können.

Mit freundlichen Grüßen,

Annika Kremer

Zitat des Tages (06.05.2009)

6. Mai 2009

„Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Das Internet ist aber auch kein bürgerrechtsfreier Raum.“
(Wolfgang Wieland, Bündnis 90/Grüne)

Petition gegen Netzzensur

6. Mai 2009

Gegen die von der Bundesregierung geplanten Netzsperren gibt es jetzt eine Petition, bei der man auch online mitzeichnen kann. Tausende von Bundesbürgern haben sich schon beteiligt.

Aus dem Petitionstext:

Wir fordern, daß der Deutsche Bundestag die Änderung des Telemediengesetzes nach dem Gesetzentwurf des Bundeskabinetts vom 22.4.09 ablehnt. Wir halten das geplante Vorgehen, Internetseiten vom BKA indizieren & von den Providern sperren zu lassen, für undurchsichtig & unkontrollierbar, da die „Sperrlisten“ weder einsehbar sind noch genau festgelegt ist, nach welchen Kriterien Webseiten auf die Liste gesetzt werden. Wir sehen darin eine Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit.

Wer sich dieser Meinung anschließen kann, sollte sich ebenfalls an der Petition beteiligen. Das entsprechende Formular findet ihr hier.