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Neues vom BKA-Gesetz

6. November 2008

Eigentlich sollte hier ein weiterer Artikel zur US-Wahl hin. Diesen aber lege ich vorerst auf Eis angesichts dessen, was unsere Bundesregierung heimlich, still und leise, während wir alle noch im Obama-Fieber oder zumindest in Gedanken bei exit polls und battleground states waren, beschlossen hat. Weg frei für bundesweite heimliche Online-Durchsuchungen titelt beispielsweise heise News und berichtet von der heute erfolgten Einigung der Regierungskoalition auf einen Entwurf für das neue BKA-Gesetz.

Dieser hat es in sich, ebenso wie die entsprechenden Kommentare der Damen und Herren Politiker – und er wird nicht mehr lange auf sich warten lassen: Bereits am nächsten Mittwoch will man dieses jüngste Paket von Eingriffen in unsere Grundrechte durch den Bundestag winken, was bedeutet, dass es noch in diesem Jahr in Kraft treten könnte. Dass das Gesetz im Bundestag noch scheitert, ist mehr als unwahrscheinlich – wie bereits bei §202c, der Vorratsdatenspeicherung und anderen Unsäglichkeiten dürfte es sich bei der Abstimmung hier nur noch um eine Formsache handeln. Zu groß ist die Mehrheit der Regierungskoalition und zu gut hat diese die meisten ihrer Mitglieder auf die gemeinsame Linie eingeschworen. Auf etwas anderes als ein Wunder können Opposition, Datenschützer, Bürgerrechtler und besorgte Beobachter nicht hoffen, wenn es am Mittwoch in die Abstimmung geht.

Das neue BKA-Gesetz wird also kommen, in weniger als einer Woche. Was genau erwartet uns dann? Viel ist, hier und anderswo, schon geschrieben worden über die einzelnen Maßnahmen, über Lausch- und Spähangriffe, über Rasterfahndungen, Einschränkungen des Zeugnisverweigerungsrechts und die unsägliche Idee, auch unverdächtige Kontaktpersonen gleich mit zu überwachen, alles im Namen einer angeblichen Sicherheit, die niemand wirklich benennen oder beweisen kann. Bestimmt werde ich dazu auch noch weitere Artikel veröffentlichen. Momentan aber geht es mir in erster Linie um die Besonderheiten der jetzt getroffenen Einigung und die Geschehnisse im Umfeld.

Besonders umstritten war nach wie vor die heimliche Online-Durchsuchung. Genau darüber scheint man sich nun in Berlin geeinigt zu haben: Nachdem schon seit einer Weile klar war, dass der Bundestrojaner nur per Netzkabel, nicht aber durch ein heimliches Eindringen in die Wohnungen Verdächtiger in sein Einsatzgebiet gelangen darf, hat man nun auch Einigung über die Einführung eines Richtervorbehalts erzielt. Diesen wird es geben – allerdings in der Light-Version: Grundsätzlich wird zwar für die Durchführung der heimlichen Online-Durchsuchung ein richterlicher Beschluss benötigt. Für Notfälle soll es allerdings eine sogenannte „Eilbefugnis“ des BKA-Präsidenten geben, mit der er in „besonderen Gefahrensituationen“ eine Online-Durchsuchung anordnen kann. Das Gesetz der Sonderregelungen kennen wir alle zur Genüge: Irgendwann werden die Notfälle immer kleiner, die besonderen Umstände weniger besonders und eine Maßnahme, die für besonders bedrohliche Ausnahmesituationen vorgesehen war, allmählich Alltag. Es wäre naiv, anzunehmen, dass eine solche Möglichkeit nicht früher oder später missbraucht wird – wer daran zweifelt, muss sich nur einmal umhören, wie teilweise mit der ähnlich gearteten „Gefahr im Verzug“-Regelung bei Haus- und Wohnungsdurchsuchungen umgegangen wurde und wird.

Ähnlich zahnlos erscheint eine Befristung der heimlichen Online-Durchsuchung bis zum Jahr 2020. Bis dahin ist viel Wasser den Rhein und sonstige bei Stadt-Land-Fluss beliebte Gewässer heruntergeflossen und hoffentlich sind wir bis dahin auch zumindest ein Stück weit aus Schaden klug geworden und haben uns für eine Sicherheitspolitik entschieden, die nicht maßgeblich auf der Einschränkung unserer Grund- und Bürgerrechte und unserer Freiheit beruht. Selbst wenn das nicht der Fall sein sollte (ein Schicksal, das sehr viele idealistische, tatkräftige, kompetente Leute nach Kräften zu verhindern versuchen) – ist der Sinn und Zweck einer Befristung derartiger Maßnahmen nicht normalerweise eine Überprüfung derselben auf ihre Effektivität und Verhältnismäßigkeit? Und würde das nicht im Umkehrschluss heißen, dass man vorhat, den Bundestrojaner über zehn Jahre lang einzusetzen, obwohl man gar nicht weiß, ob er diesen Anforderungen entspricht? Fragen über Fragen und leider wenig fundierte Antworten von unserer Regierung.

Wer noch einen weiteren Beweis dafür braucht, wie effektiv die aktuelle Bundesregierung unsere Grundrechte schützt, sei auf den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung (natürlich nach erfolgreichem Besuch des Bundestrojaners auf unserem privaten Rechner) verwiesen. Weiter ist vorgesehen, dass neben zwei BKA-Beamten auch der Datenschutzbeauftragte der Behörde abgegriffene Daten auf Berührung des eigentlich unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung hin begutachtet. Ein Grund, sich wirklich sicher zu fühlen, oder? Zwei Beamte genau der Behörde, die die Untersuchung durchgeführt hat, und ein Datenschutzbeauftragter unklarer Qualifikation von genau derselben Behörde – wenn das kein Grund ist, im Vertrauen auf den Respekt von Regierung und BKA vor unseren Grundrechten nachts ruhig zu schlafen, weiß ich es auch nicht. Checks and balances, ein wichtiger Bestandteil eines jeden Rechtsstaates, in der Version für das 21. Jahrhundert, sponsored by Schäuble, Ziercke & Co. Man muss sich fragen, wieso der Gesetzgeber hier nicht wenigstens ehrlich ist und auf eine Überprüfung der Daten direkt ganz verzichtet – es ist zweifelhaft, dass das den Chancen des Betroffenen auf den Schutz seiner Privatsphäre mehr schaden würde als die nun geplante Regelung. Wahrscheinlich hat das aktuelle Feigenblatt wie sein biblisches Vorbild eher den Grund der beabsichtigten Außenwirkung.

Irgendwoher nehmen die beteiligten Politiker, die ja nur unser Bestes und unsere Sicherheit wollen, nach solchen Exzessen in Sachen Wertpyromanie und Grundrechtsdemontage sogar noch die Chuzpe, sich als Helden und Bewahrer des Rechtsstaates zu fühlen. „Rechtsstaatliche Grundsätze werden strikt beachtet und gleichzeitig bekommt das BKA dringend notwendige Befugnisse, um Terror wirksamer bekämpfen zu können. Wir haben ein gutes Gesetz noch besser gemacht,“ schwärmte etwa Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach gegenüber der ARD – und wird wahrscheinlich von den Überwachungsbefürwortern aller politischen Lager nach Kräften dafür beklatscht.

Den Applaus weit eher verdient haben in meinen Augen alle, die sich tapfer gegen diesen sicherheitspolitischen Irrsinn stellen. Hervorheben möchte ich hier besonders Twister, die in einem Foren-Posting im heise-Board bereits angekündigt hat, gegen das BKA-Gesetz Verfassungsbeschwerde einzulegen, sobald der Bundestag dieses verabschiedet. Angesichts der klaren und unverhältnismäßigen Eingriffe des neuen Gesetzes in diverse Grundrechte (Unverletzlichkeit der Wohnung, Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, möglicherweise auch das Fernmeldegeheimnis und weitere) sollte diese Verfassungsbeschwerde hoffentlich gute Chancen haben, in Karlsruhe auf offene Ohren zu stoßen. Für ihre Pläne wird Twister allerdings finanzielle Unterstützung in Höhe von etwa 10.000 Euro benötigen, die in Form von Spenden gesammelt werden sollen. Genauere Informationen wird es in einer Presseerklärung nach Verabschiedung des Gesetzes geben. An dieser Stelle Hut ab und danke angesichts einer konsequenten, mutigen und sinnvollen Aktion – und eine Versicherung meiner Solidarität, der sich sicher viele Leute, denen ihre Freiheit am Herzen liegt, anschließen werden.

12 Kommentare leave one →
  1. 6. November 2008 5:39 am

    Schön geschrieben, danke dafür. Ich wünsche uns in Deutschland mehr Menschen wie Twister.

  2. Alu permalink
    6. November 2008 8:15 am

    Was in unserem Land fehlt ist ein Gesetz, mit dem man Korrupte beamte abwählen kann.
    Danach würde nicht mehr viel übrig bleiben

  3. Florian permalink
    6. November 2008 10:40 am

    Hey,

    wo hast du denn die Information her, dass ein heimliches Eindringen in Wohnungen nicht erlaubt sein soll?

  4. Annika permalink*
    6. November 2008 12:42 pm

    Florian, das stand bereits vor Monaten bei heise (und auf anderen News-Seiten), als es darum ging, dass die SPD der Online-Durchsuchung im BKA-Gesetz grundsätzlich zugestimmt hat. Dieses „Entgegenkommen“ hatte die SPD durchgesetzt, worüber auch einige Leute bei Union und BKA nicht sehr glücklich waren.
    Ein Artikel dazu findet sich beispielsweise hier:
    http://www.heise.de/newsticker/Schaeuble-und-Zypries-bei-heimlichen-Online-Durchsuchungen-einig–/meldung/106540
    Ich zitiere: „Zuletzt war zwischen Union und SPD vor allem noch umkämpft, ob die Ermittler für die Installation des sogenannten Bundestrojaners auch in Wohnungen eindringen und die digitale Wanze direkt vor Ort auf einem Zielrechner installieren dürfen sollen. Laut Sprechern Schäubles wird gemäß der Verständigung mit Zypries in dem Entwurf eine solche händische Manipulation der Rechner nicht zugelassen. Die verdeckte Online-Durchsuchung dürfe demnach „nur per Kabel“ erfolgen, heißt es im Innenministerium. Zuvor hatten Mitarbeiter von Schäuble vor allem E-Mails auch von Behörden als möglichen Königsweg zur Einschleusung von Bundestrojanern auf IT-Systemen Verdächtiger angesehen. Das Einbrechen in Wohnräume hatte die SPD im Gegensatz zur CDU/CSU-Fraktion als grundgesetzwidrig erachtet und auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung verwiesen.“

  5. asd permalink
    6. November 2008 9:08 pm

    es wird zeit für ganz viel 20.4

  6. Annika permalink*
    6. November 2008 9:46 pm

    asd, dabei ist das Problem, dass du zur Anwendung erst einmal beweisen müsstest, dass du „keine andere Möglichkeit“ hast. Ich denke, das ist momentan noch nicht der Fall. Man kann ja, wie Twister uns zeigt, beispielsweise noch Rechtsmittel ergreifen.

  7. 8. November 2008 2:47 am

    Im AK-Wiki findet sich ein erstes Muster-Anschreiben, das alle an ihre Abgeordneten schicken sollten:

    http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Anschreiben_BKA-Gesetz_stoppen!

    Bitte helft mit das Schreiben zu verbessern und zu verbreiten!

  8. Annika permalink*
    8. November 2008 2:24 pm

    @AK-Vorrat: Habe ich mir doch glatt zu Herzen genommen 😉 danke für die Information, ich hoffe, dass auch der eine oder andere Leser noch mitzieht.

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