Zum Inhalt springen

Sicherheit?

23. April 2008

Das Hauptargument, das bei der Forderung nach mehr staatlicher Kontrolle (und der damit verbundenen Aufgabe eines Teils unserer individuellen Freiheiten) genannt wird, ist Sicherheit. Fast immer, wenn ein neues Gesetz eine weitere Einschränkung unserer Privatsphäre mit sich bringt, geht es dabei um Sicherheit, beziehungsweise konkreter um den Schutz der in Deutschland lebenden Menschen vor Kriminalität, insbesondere politisch motivierten Gewalttaten (Terrorismus).

Da viele Menschen momentan Angst haben, zum Opfer eines Verbrechens (insbesondere eines Terroraanschlages, zu werden, akzeptieren sie diese Sicherheitsmaßnahmen und somit auch die damit verbundenen Nachteile oft unhinterfragt. Sie finden sich damit ab, dass man „bei der Terrorismusbekämpfung Opfer bringen muss“ und „die Bedrohungslage bestimmte Maßnahmen rechtfertigt“- eine Sichtweise, die ja immerhin in den Medien und insbesondere von Mitgliedern der derzeitigen Bundesregierung auch des öfteren zu hören ist.

Aber ist diese Denkweise wirklich sinnvoll? Entspricht es der Wahrheit, dass wir unsere Freiheiten einschränken lassen müssen, um Sicherheit zu gewinnen, und sind die derzeit von der Regierung forcierten Maßnahmen der beste Weg, um die Bürger vor Kriminalität und ähnlichen Risiken zu schützen? Stammleser werden meine Antwort ahnen: In meinen Augen handelt es sich hier eher um die Folge einer völlig falschen, weil nicht der Realität entsprechenden, Sicherheitseinschätzung als um sinnvolle Wege, mit neuartigen oder sich verändernden Bedrohungen umzugehen. Der Begriff „Sicherheitseinschätzung“ spielt hierbei eine wichtige Rolle, denn für politische Entscheidungen und gesellschaftliche Prozesse ist es oft wichtiger, wie sicher wir zu sein glauben, als wie sicher wir wirklich sind.

Ein Argument für die Einführung von mehr Überwachung, ich habe es gerade noch gelesen, lautet: „Mehr Überwachung stärkt das Sicherheitsgefühl der Menschen“. So traurig und paradox dieser Satz klingt, so zutreffend ist er. Die Mehrheit der Menschen hat die Rhetorik der Überwachungs-Befürworter verinnerlicht und glaubt, nur sicher zu sein, wenn sie ihre Privatsphäre einschränken lässt und einen Teil ihrer Kontrolle über ihr eigenes Leben, ihren privaten Bereich und ihre Handlungen Fremden überlässt, die versprechen, auf sie aufzupassen.

Das nutzen natürlich diejenigen aus, die um jeden Preis ihre eigenen Vorstellungen von Politik durchsetzen wollen. Sie argumentieren mit größerer Sicherheit, ohne diesen Zuwachs wirklich belegen (teilweise sogar schlüssig begründen) zu können. Sie beschließen Maßnahmen, die wenig praktischen Nutzen haben, aber spektakulär wirken und damit den Menschen das Gefühl geben „da wird was für unsere Sicherheit getan“- Sicherheitstheater.

Die mangelnde Fähigkeit des Menschen, gerade in unbekannten Situationen Risiken realistisch einzuschätzen, zusammen mit ebenso großen Fehleinschätzungen und teilweise bewussten Manipulationen von Seiten der politisch Verantwortlichen, führen dazu, dass kaum noch jemand „durchblickt“, was real, was Fiktion und was wie wahrscheinlich ist im Bereich Risiko und Sicherheit.

Ein gutes Beispiel für diesen Effekt bietet beispielsweise die extreme Kameraüberwachung öffentlicher Plätze. Viele Menschen fühlen sich unwohl unter der ständigen Beobachtung, und doch gibt es relativ wenige Stimmen für eine Abschaffung dieser Kameras. Im Gegenteil, es wird sogar eine erhebliche Summe unserer Steuergelder investiert, um diese Maßnahme noch flächendeckender einzusetzen. Alles nur im Sinne unserer Sicherheit- oder?

Die Zahlen sprechen ein anderes Bild, wie zum Beispiel dieser Artikel des San Francisco Chronicle unter Berufung auf eine dort durchgeführte Studie erklärt. San Francisco’s 68 controversial anti-crime cameras haven’t deterred criminals from committing assaults, sex offenses or robberies – and they’ve only moved homicides down the block, according to a new report from UC Berkeley, heißt es dort. Die Kameras hatten also kaum einen Effekt auf die verübte Kriminalität- sie erhöhten die tatsächliche Sicherheit der Anwesenden kaum bis gar nicht. Aber: Mayor Gavin Newsom called the report „conclusively inconclusive“ on Thursday but said he still wants to install more cameras around the city because they make residents feel safer.

Eine Maßnahme also, die rein die Gefühle der Menschen beruhigen soll. Grundsätzlich ist ja gegen eine Berücksichtigung solcher gefühlsmäßiger Aspekte nichts einzuwenden, aber im Sicherheitsbereich, in dem es auf sinnvolle Entscheidungen und Einschätzungen sehr ankommt, wäre es kontraproduktiv, dieses offensichtliche Missverhältnis von gefühlter und tatsächlicher Sicherheit einfach auf sich beruhen zu lassen. Solange die Menschen von solchen Voraussetzungen ausgehen, ist es ihnen unmöglich, informierte Entscheidungen in Sicherheitsdingen zu treffen.

Das gilt natürlich auch für den politischen Bereich. Solange die Mehrheit der Bürger es nicht besser weiß, wird sie die Politiker wählen, bei denen sie sich sicher fühlt. Sicherheitsfachmann Bruce Schneier hat es sehr treffend zusammengefasst: „Of course, there are two ways to make people feel more secure. The first is to make people actually more secure and hope they notice. The second is to make people feel more secure without making them actually more secure, and hope they don’t notice.“ Die zweite Methode ist genau das, was momentan in unserem Land vielfach geschieht, ob es sich nun um Überwachungskameras handelt, um das Anlegen immer neuer Datenbanken oder um die Vorratsdatenspeicherung.

Aber, wie das Zitat bereits impliziert, diese Methode funktioniert nur, solange Menschen uninformiert sind und daher rein emotional reagieren oder von falschen Voraussetzungen ausgehen- nur so lange sind sie anfällig für Denkfehler und insbesondere für die Manipulationsversuche durch Politik und Medien. Genau deswegen ist sachliche und umfassende Aufklärungsarbeit sehr wichtig. Je besser die Menschen informiert sind, desto eher werden sie beginnen, sich dann sicher zu fühlen, wenn sie es auch tatsächlich sind- desto eher werden sie das von der Regierung aufgeführte Sicherheitstheater durchschauen und beginnen, effektivere und weniger invasive Lösungen zu fordern. Dann erst wird es eine wirklich sinnvolle flächendeckende Auseinandersetzung mit neuen Sicherheitsrisiken wie dem Terrorismus geben- erst dann, wenn mehr Menschen informierte Entscheidungen treffen, anstatt sich rein auf ihre Gefühle zu verlassen, und wenn sie diese Art Entscheidungen auch von anderen fordern.

4 Kommentare leave one →
  1. Tranceworld permalink
    23. April 2008 8:48 pm

    „…insbesondere politisch motivierten Gewalttaten (Terrorismus)“
    Dieser Satz suggeriert, dass politsch motivierte Gewalttaten und Terrorismus gleichzusetzen sind. Das Verfahren gegen die Militante Gruppe z.B. zeigt aber, dass dort ein Unterschied besteht.

  2. pab permalink
    2. Mai 2008 5:57 pm

    Es stimmt nicht, dass Überwachung das Sicherheitsgefühl stärkt. Untersuchungen zeigen, dass sich die Menschen z.B. nach der Installation von Videokameras nicht sicherer fühlen als vorher. Alles weitere: http://www.daten-speicherung.de/index.php/ueberwachung-fragen-und-antworten/#.E2.80.9E.C3.9Cberwachung_st.C3.A4rkt_das_Sicherheitsgef.C3.BChl_der_Bev.C3.B6lkerung..E2.80.9C

Trackbacks

  1. Volkszertreter? » FreiheIT-Blog - Sicherheit?
  2. Open Mind Blog » Blog Archive » Links 40

Hinterlasse einen Kommentar