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Vollerfasst und zentralisiert

23. Februar 2008

Einen guten Artikel über die Risiken des geplanten zentralen Melderegisters veröffentlichte DIE ZEIT online. Besagtes Melderegister würde das Bundesinnenministerium gern so schnell wie möglich einführen, ein entsprechender Gesetzesentwurf liegt bereits vor und soll noch in diesem Frühjahr dem Parlament vorgelegt werden. Das Bundesinnenministerium bezeichnet ihn als „absolut konsensfähig“.

Dem würden sich Datenschützer wohl nicht unbedingt anschließen, wie auch der ZEIT-Artikel bemerkt: Kritikern stellen sich bei dem Gedanken daran die Nackenhaare auf. „Datenmoloch“ nennt zum Beispiel der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar das Projekt. Und fürchtet letztlich die Einführung einer eindeutigen Personenkennzahl für jeden Bürger, wie es sie in der DDR gab. Immerhin haben wir schon die neuen Steuernummern, die von einem derartigen Erfassungssystem, insbesondere in Verbindung mit dem Anlegen einer solchen riesigen Datenbank, nicht mehr so weit entfernt sind, wie man es sich in einem freien Land wünschen würde.

Das Risiko bei einer solchen kompletten Erfassung, insbesondere mit der Vergabe eindeutiger Nummern, liegen vor allem bei der Möglichkeit, Daten einander und einer bestimmten Person zuzuordnen, Querverbindungen herzustellen und so immer genauere Profile einer Person anzulegen und zentral zu speichern.

Aus genau diesem Grunde gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1969, das sogenannte Mikrozensusurteil, dass die Vergabe eines eindeutigen Personenkennzeichens für alle Bundesbürger untersagt. Interessant ist vor allem die damalige Urteilsbegründung: Die Richter kamen damals zu dem Schluss, dass der Staat statistische Erhebungen machen dürfe, dass er aber nicht das Recht habe, „den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren“ und ihn damit „wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist“. Denn es verstoße gegen die Menschenwürde, „Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen“. Das Urteil gilt als Vorläufer des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung und es ist bis heute relevant.

Es ist fraglich, womit die Bundesregierung es rechtfertigt, gegen ein derart eindeutiges Urteil des Bundesverfassungsgerichts handeln zu wollen- denn selbst wenn keine eindeutige Personenkennzahl (außer eben der Steuernummer, die aber auch bereits die Mehrzahl der Deutschen erfasst) eingeführt wird, ist das Anlegen zentralisierter Datenbanken über die gesamte Bevölkerung vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichts-Urteils sehr kritisch zu bewerten- handelt es sich nicht auch hier bereits um eine „Bestandsaufnahme“, die in die Selbstbestimmung des Menschen und in seine Menschenwürde eingreift? Es ließe sich zumindest so argumentieren. Letzten Endes muss auch hier möglicherweise wieder das Bundesverfassungsgericht entscheiden, wenn der Gesetzesentwurf nicht bereits im Parlament scheitert.

Die dabei erfassten Daten sind umfangreich, vielfältig und (vorsichtig ausgedrückt) problematisch: ..die Datenmengen, die künftig beim Bundesverwaltungsamt vereint werden sollen, sind beeindruckend. Nicht unbedingt aufgrund ihrer Zahl, auch wenn es fast 30 Punkte sind, die die Liste umfasst, darunter beispielsweise frühere Anschriften, das Datum einer Hochzeit oder der Geburtstag des Lebenspartners. Wichtiger ist die Vernetzung, die mit der Riesendatei erreicht werden soll. Denn sie enthält auch Informationen über die Wählbarkeit und somit das Wahlregister, das Passregister samt Gründen, warum Pässe eventuell nicht ausgestellt werden dürfen, die Datenbanken des Bundeskriminalamtes zu Waffenscheinen und Sprengstofferlaubnissen, die der Kreiswehrersatzämter über geleistete Wehr-, oder Zivildienste und – wichtigste Quelle von allen – die Steuerdaten.

Letzteres beinhaltet- natürlich- auch die neue Steuer-ID, mit allen möglichen negativen Folgen. Der Verzicht auf die Einführung einer neuen einheitlichen Personenkennnummer wird so eher zum Trostpflaster für Datenschützer- ebenso wie der Rest der geplanten Schutzmaßnahmen: Zwar wird die Steuer-ID genau wie Daten über Wählbarkeit oder Waffenbesitzkarten nicht jedem zugänglich sein und gesondert von den übrigen Meldedaten gespeichert. Oder, wie es auf Nachfrage aus dem Innenministerium heißt, „einer strengen Zweckbindung unterworfen“ und „ausschließlich an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt“. Für staatliche Stellen aber gibt es keine Beschränkungen. Denn gleichzeitig erleichtert das neue Meldegesetz Polizei, Staatsanwaltschaften, Zollfahndung aber auch allen Geheimdiensten den Zugriff. Beschränkungen, wie einen Katalog von schweren Straftaten, bei dem Abfragen erlaubt sind, wird es nicht geben. Ermittler müssen dann auch nicht begründen, warum sie jemandes Daten haben wollen. Die Abfrage selbst würde nicht einmal beim Melderegister gespeichert sondern bei der interessierten Behörde.

Letzteres bedeutet natürlich auch, dass die Transparenz bei dieser Maßnahme und damit die Möglichkeit der betroffenen Bürger, sich gegen ungerechtfertigte oder sogar willkürliche Eingriffe zu wehren, gegen Null geht. Der Betroffene würde so womöglich gar nicht erfahren, dass gegen ihn derartige Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt werden. Über einzelne Abfragen gibt es keine Auskunft, lediglich „regelmäßige Datenübermittlungen“ müssen offen gelegt werden, heißt es lapidar in dem Artikel, wobei selbst letzteres im Einzelfall nur schwer zu kontrollieren sein dürfte.

Das Ziel des Ganzen, wie bei Maßnahmen des Bundesinnenministeriums in letzter Zeit so oft, ist offenbar Kriminalitätsbekämpfung: Laut Innenministerium können Meldedaten damit „an all die Behörden umgehend übermittelt werden, die zur wirksamen Aufgabenerfüllung auf die Versorgung durch einen zentralen Datenbestand angewiesen sind. Dies trifft z. B. auf die Polizeivollzugsbehörden zu, die mit Hilfe eines Bundesmelderegisters die Anschrift eines Straftatverdächtigen mit unbekanntem Wohnort schneller ermitteln könnten als dies gegenwärtig der Fall ist“.

Dabei handelt es sich um einen leider sehr verbreiteten Trugschluss- den Glauben, durch zentralisiertes und möglichst umfangreiches Sammeln von Daten die Sicherheit der Menschen in diesem Land erhöhen zu können, dem leider fest in manchen Köpfen verankerten Pseudo-Gegensatz zwischen Privatsphäre und Sicherheit nicht unähnlich. Dies wird aller Voraussicht nach auch in diesem Fall nicht funktionieren- zu groß ist das Missbrauchspotential, zu groß das Risiko, dass einmal gesammelte Daten in falsche Hände fallen.

Unsere Grundrechte, die uns vor willkürlicher Behandlung durch Vertreter des Staates schützen sollen, existieren aus gutem Grund, werden aber durch eine quasi überhaupt nicht mehr zu kontrollierende Ermittlungsmaßnahme wie diese fast völlig ausgehebelt- zum Schaden unserer Sicherheit, nicht zu ihrer Verbesserung. Noch wesentlich fundamentaler ist natürlich die Menschenwürde, die jeder von uns sein eigen nennt und die definiert, dass wir souverän und selbstbestimmt sind- keine bloßen Objekte staatlicher Maßnahmen. Das hat das Bundesverfassungsgericht sehr gut erkannt und auf die Frage einer zentralisierten Vollerfassung übertragen- notfalls werden sie diese Sichtweise wohl demnächst in einem neuen Urteil noch einmal bestätigen müssen.

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