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Die SPD und die Bürgerrechte

17. Dezember 2007

Die Tatsache, dass die Positionen der SPD in Sachen Datenschutz und Bürgerrechte nicht immer so klar definiert sind, wie man sich das als an diesen Themen interessierter Bürger wünschen würde, dürfte mittlerweile hinlänglich bekannt sein. Wie weit diese Tatsache aber momentan offenbar geht, vermag doch immer wieder zu erstaunen.

Erster Fall: Die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung, von der SPD trotz teilweise angesprochener verfassungsrechtlicher Bedenken mit abgesegnet. Obwohl das bereits im November geschah, schlägt diese Entscheidung nach wie vor hohe Wellen, unter anderem auch wegen der teilweise sehr widersprüchlichen Äußerungen von SPD-Abgeordneten zu diesem Thema. Nun gab der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss gegenüber dem Heise-Online-Magazin Telepolis ein Interview, in dem er Stellung nimmt zur Haltung seiner Partei im Bezug auf die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung.

Ob dies allerdings zur Klärung beiträgt, bleibt fraglich. Tauss argumentierte sehr viel mit politischen Realitäten und dem Zwang zur Kompromissbereitschaft, was zwar grundsätzlich sicher nicht komplett falsch ist, in der vorliegenden Häufung und angesichts der Hintergründe dieser Abstimmung aber eher wirkt wie ein Versuch, sich der Verantwortung für die getroffene Entscheidung zumindest teilweise zu entziehen. Darauf angesprochen, mit dem vorliegenden Gesetz nicht nur eine Mindestumsetzung der EU-Richtlinie, sondern ein wesentlich weitergehendes Gesetz geschaffen zu haben, gibt Tauss an, bei diesem Entwurf „Bedenken“ gehabt zu haben- obwohl er diesen selbst eingebracht hat. Dies erklärte er dann wieder mit politischen Notwendigkeiten und zeigte sich zufrieden damit, immerhin eine längere Speicherfrist als die derzeit vorgesehenen sechs Monate verhindert zu haben. Ob dieser eher kleine Teilerfolg wirklich die anderen ihm angeblich abverlangten Kompromisse rechtfertigt, darf jeder selbst entscheiden; ich jedenfalls erwarte von einer Partei, die sich gegenüber der CDU als liberalere Alternative, mitunter gar als Bürgerrechtspartei, zu etablieren versucht, deutlich mehr.

Auch angesprochen auf seine angeblichen Bedenken (er hatte die VDS als einen „eklatanten Eingriff in die Bürgerrechte“ bezeichnet) äußerte Tauss wenig konkretes: „Ich habe meine Bedenken in aller Klarheit vorgetragen. Ich habe dann allerdings auch gesagt, dass ich zu dem Kompromiss stehe. Und ich habe stets gesagt: Wenn ich feststelle, dass der Kompromiss europarechtlich keinen Bestand hat (weil Europa überhaupt nicht zuständig ist), wenn dieser Kompromiss verfassungsrechtlich keinen Bestand hat – dann fühle ich mich in meiner Skepsis eher bestätigt als ins Unrecht gesetzt.“ Offenbar will der Herr sich alle Optionen offenhalten, ohne sich dabei allzu deutlich auf eine Position festzulegen. Das ist zwar alles andere als hilfreich, aber leider schon politischer Alltag.

Die Chancen einer Verfassungsbeschwerde gegen die VDS schätzt Tauss eher gering ein: „Allerdings muss man auch klar sagen, dass die juristische Skepsis, ob eine solche Klage in Karlsruhe Erfolg hätte, sehr viel größer ist als in anderen Fragen. Das heißt also, dass man nicht sicher sein kann, dass das Bundesverfassungsgericht der Meinung von Frau Leutheusser-Schnarrenberger (und möglicherweise auch der meinen) folgt. Das werden wir dann sehen müssen. Aber ich würde mich im Zweifel einer Klage anschließen. Das habe ich deutlich an verschiedenen Stellen gesagt. Auch Herrn Baum, der mir allerdings auch selbst schon seine juristischen Bedenken über die Aussicht einer solchen Klage übermittelt hat. Zumal parallel auch noch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig ist. Möglicherweise ist diese Klage der irischen Regierung (die nicht wegen bürgerrechtlicher Bedenken, sondern aus ganz anderen Gründen erfolgte) aber hilfreicher als jene vor dem Bundesverfassungsgericht.“ Nun, die juristische Einschätzung ist seine eigene Sache; ob sie stimmt, werden wir wohl im Laufe des nächsten Jahres erfahren. Interessant, vor allem aber auch bedenklich, ist die Formulierung, dies sei „möglicherweise auch seine“ Meinung. Diese Art der Äußerung legt den Verdacht nahe, dass Tauss entweder vor lauter politischem Taktieren gar keine eigene Meinung mehr hat, oder aber sich nicht traut, diese deutlich zu äußern- befürchtet er den Verlust von Wählerstimmen oder bloß politische Schelte, aus welchem Lager auch immer?

Kompromisse sind in einer Demokratie gut und wichtig, aber es gibt einen Grad von Kompromissbereitschaft, der eindeutig zu weit geht und die Grenze zur Inkonsequenz überschreitet. Meines Erachtens hat Herr Tauss diese Grenze angesichts solcher Äußerungen meterweit hinter sich gelassen. Wer politisch ernst genommen werden will, muss schon ein bisschen mehr zu bieten haben.

Neben der VDS bewegte auch die Online-Durchsuchung wieder einmal die Gemüter, auch und gerade bei der SPD. Hier tat sich insbesondere der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Sebastian Edathy, hervor, der einen Vorstoß wagte, der bei einigen seiner Parteifreunde auf Befremden und bei Datenschützern auf entsetztes Kopfschütteln stieß. Wie heise berichtet, hatte Edathy in einem Zeitungsinterview gesagt, die SPD sei „nie prinzipiell gegen eine Regelung zur Ausforschung „informationstechnischer Systeme“ gewesen“.

Stattdessen sei es immer nur um das Abwarten des voraussichtlich im Frühjahr anstehenden Bundesverfassungsgerichts-Urteils zur Online-Durchsuchung in NRW gegangen, das viele als relevant für die rechtliche Bewertung des bundesweiten Äquivalents sehen. Fällt dieses Gesetz nicht ausdrücklich gegen den „Bundestrojaner“ aus, womit Edathy allem Anschein nach nicht rechnet, hätte laut Edathys Aussage die SPD keine Probleme mit einer Verabschiedung der Novelle des BKA-Gesetzes, mitsamt der umstrittenen Klausel zur Online-Durchsuchung, noch im weiteren Verlauf des Frühjahrs.

Der Koalitionspartner kann sein Glück offenbar noch gar nicht fassen: „Der Vorstoß überrascht, da selbst der federführende Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) gerade beim BKA-Gesetz öffentlich leicht auf die Bremse getreten war. Inzwischen ist in dem von ihm geführten Haus von einer prinzipiellen Einigkeit der Koalition die Rede, dass das Gesetzgebungsverfahren gleich nach Verkündung des Urteils der roten Roben eingeleitet werde. Bis dahin solle der Entwurf bereits reif für die Verabschiedung im Bundeskabinett gebracht werden, ergänzte Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU)“ schreibt heise.

Auch den meisten Beobachtern erschließt sich nicht ohne weiteres, was Herrn Edathy zu diesem plötzlichen Vorstoß bewegt, hatte er doch im Sommer noch zur Besonnenheit und zur vorherigen Klärung der technischen Einzelheiten gemahnt. Was das angeht, scheint er seine Bedenken weitgehend ad acta gelegt zu haben, obwohl einige Juristen noch am vergangenen Freitag geäußert hatten, dass sie „den vom Verfassungsgericht angemahnten Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung bei Online-Razzien nicht gegeben sehen. Auch die Verfahrensabsicherung durch einen Richtervorbehalt könne Missbrauch nicht ausschließen.“ Woher Edathy nun also seine plötzliche Sorglosigkeit nimmt, ist nicht ohne weiteres ersichtlich.

Dass Edathy „nebenbei“ auch noch für mehr Befugnisse der Ermittler beim „großen Lauschangriff“ plädierte, ist nur noch ein weiteres Mosaiksteinchen, das zu einem Bild beiträgt, welches sich leider schon seit einer geraumen Weile abzeichnet: Wirkliche Konsequenz in Bürgerrechtsfragen ist von der SPD derzeit nicht zu erwarten. Wenn es darauf ankommt, spielen Koalitionsdisziplin und politisches Kalkül offenbar eine zu große Rolle, um das zu tun, was im Sinne der Bürgerrechte angebracht und verantwortungsbewusst wäre. Bei der Wahrung ihrer Rechte auf informationelle Selbstbestimmung und den Schutz vor überschießender staatlicher Kontrolle sollten sich die deutschen Bürger derzeit lieber nicht auf die SPD verlassen- oder aber soviel politischen Druck machen, dass der zaudernde Koalitionspartner vielleicht wieder erkennt, wem er zuerst verpflichtet ist. Das nämlich ist nicht die CDU, nicht irgendein Ideal politischer Vernunft und auch kein Gremium der europäischen Union- es ist das deutsche Volk, durch das die Regierung erst ihre Legitimation erhält.

4 Kommentare leave one →
  1. 17. Dezember 2007 12:53 pm

    Ich wink da mal mit der ersten großen Koalition bei der sich die SPD ebenso schon als antidemokratischer Steigbügelhalter verdingte. Damals wurden die Notstandsgesetze etabliert, die im Gegensatz zu der allgemeinen Annahme eben keine ollen Kamellen darstellen, sondern antidemokratischen Sprengstoff, der im GG in diversen Artikel verankert wurde. Jene Artikel eben, die Schäuble gerne für seine haarsträubenden Interpretationen heranzieht, inklusive der willigen Inkaufnahme massiver Kolateralschäden. Nicht von ungefähr ist das Gros der Politprominenz juristisch beschlagen, teils mit höchsten Weihen. Das Problem ist in Deutschland ein historisch und politisch desinteressiertes Volk, sowie eine machtgeile, korumpierte Politikerklasse – zusammen ein unheiliges Bündnis deutsche Debilität, das schon sooft zum unsäglichen „Markenzeichen“ in diesen Gefilden gereichte. Abhilfe schafft wie immer die sogenannte Aufklärung, aber diese findet heut inmitten des medialen Overkills kaum noch Wiederhall in den Hirnwindungen der Bevölkerung.

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