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Lauschen, spähen, online durchsuchen

19. April 2008

Die Innenministerkonferenz im brandenburgischen Bad Saarow ist mittlerweile beendet, doch ihre politische Hinterlassenschaft wird noch eine Weile in aller Munde sein. Von Datenschützern schon seit einer Weile mit Schrecken erwartet, ist das BKA-Gesetz, das dem Bundeskriminalamt sehr umfangreiche neue Befugnisse (mit dem Ziel einer stärkeren Einbindung dieser Behörde in die Terrorismusbekämpfung) einräumen soll, mittlerweile auch in den Mainstream-Medien ein großes Thema. Die umfangreiche Berichterstattung ist begrüßenswert, zeigt sie doch, dass, nachdem diese Maßnahme sehr lange kaum öffentlich diskutiert wurde, so langsam doch ein Dialog in Deutschland in Gang kommt oder zumindest entsprechende Informationen zur Verfügung stehen. Das ist aber auch schon so ziemlich die einzige gute Nachricht, die es in diesem Zusammenhang zu vermelden gibt. Ansonsten nämlich hat fast jeder Artikel, den man zum Thema liest (zumindest von den Medien, denen bereits der Gesetzesentwurf vorliegt; auf den billigen Plätzen bekam man den nämlich bisher noch nicht zu Gesicht, was unter anderem meine Blogger-Kollegen Udo und Markus bereits heftig kritisieren) weitere beunruhigende Einzelheiten zu vermelden.

Wie bereits angesprochen soll für das BKA neben dem „großen Lauschangriff“, also dem Anbringen von Mikrofonen in den Wohnungen Verdächtiger, in Zukunft auch der „große Spähangriff“ (das selbe, nur mit Kameras) möglich sein. In den Wohnungen Verdächtiger? Das stimmt nicht ganz, wie unter anderem die tagesschau und die Süddeutsche Zeitung berichten. Laut dem neuen Gesetzesentwurf sollen sogar die Wohnungen Unschuldiger und nicht verdächtiger Personen überwacht werden dürfen, wenn sich dort auch Tatverdächtige aufhalten und man der Meinung ist, diese sonst weniger effektiv überwachen zu können. Wörtlich heißt es in dem Gesetzesentwurf (laut den Medien, denen dieser nach eigenen Angaben vorliegt):

In Wohnungen anderer Personen ist die Maßnahme [also die Video- und Audio-Überwachung] nur zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass

1. sich eine in Absatz 1 genannte Person dort aufhält und

2. die Maßnahme in der Wohnung einer in Absatz 1 genannten Person allein nicht zur Abwehr der Gefahr nach Absatz 1 führen wird.

Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden.“

Eine Befürchtung, die bereits bei früheren Diskussionen über das BKA-Gesetz häufig geäußert wurde, gewinnt immer mehr an Substanz: Nicht nur in die Rechte Verdächtiger soll in Zukunft massiv eingegriffen werden, sondern auch in die von völlig unbeteiligten Menschen, die möglicherweise nur das Pech haben, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Ist der Eingriff in die Rechte Verdächtiger bereits problematisch genug (immerhin haben diese nach dem Grundgesetz bis zu ihrer eventuellen Verurteilung als unschuldig zu gelten), stellen diese Pläne noch einen weiteren Eingriff in unseren Rechtsstaat dar. Mit einer derartigen Definition, wer als Ziel dieser (extrem stark in die Privatsphäre der Betroffenen eingreifenden) Überwachungsmaßnahmen in Frage kommt, schafft man gute Chancen, dass es zu einem inflationären oder sogar missbräuchlichen Einsatz des Lausch- und Spähangriffs kommt. Erfahrungsgemäß haben derartige Maßnahmen ohnehin die fatale Tendenz, nach einiger Gewöhnung immer häufiger und mit weniger Bedenken eingesetzt zu werden. Beginnt man bereits mit einer derart losen Beschränkung der Fälle, kann man sich nur noch fragen, wer in zehn Jahren alles auf der Warteliste für die private Mini-Kamera stehen wird. Die Kontaktperson der Kontaktperson der Kontaktperson…? Früher oder später wäre halb Deutschland ins Visier der Fahnder gerückt.

Das wird natürlich auch der Bevölkerung nicht verborgen bleiben. Bei einer derartigen Gesetzgebung wird wohl dem einen oder anderen schnell klar werden, dass die gern genommene Selbstberuhigung „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“ in diesem Fall ein Trugschluss ist selbst wenn man unter „zu verbergen haben“ wirklich nur kriminelle Aktivitäten fasst. Die meisten Menschen wissen recht genau, ob sie selbst terroristische Aktivitäten planen, aber wer kann schon mit derselben Sicherheit über jeden seiner Bekannten sagen, dass dieser nicht möglicherweise in fragwürdige Aktivitäten verstrickt ist? So wird letzten Endes niemand mit Sicherheit sagen können, dass derartige Maßnahmen bei ihm nicht durchgeführt werden. Wer glaubt, dass das keine Folgen auf uns und auf unsere Gesellschaft hat, sollte mir bitte etwas von seinen Tabletten abgeben- angesichts eines derartigen Realitätsverlustes müssten diese nämlich sehr effektiv sein. Wer sich noch nicht einmal mehr in seiner eigenen Wohnung sicher und unbeobachtet fühlen kann, lebt kaum noch (angst-)frei. Nicht umsonst leiden ja viele Menschen, die Opfer von Wohnungseinbrüchen wurden, hinterher unter ziemlich heftigen psychischen Folgen- niemand kann wohl guten Gewissens eine Garantie abgeben, dass dies nicht auch eine mögliche Folge des BKA-Gesetzes sein könnte. Auch die ohnehin durch Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung und die allgegenwärtige extreme Kameraüberwachung öffentlicher Plätze vorangetriebene Tendenz zur Selbstzensur, also die durch Angst vor einer staatlichen Übermacht und das Gefühl, beobachtet zu werden, vorangetriebene extreme Kontrolle eigener Handlungen und der Verzicht auf das Wahrnehmen bestimmter Rechte, dürfte durch das BKA-Gesetz noch einmal verstärkt werden. Dadurch verarmt unsere Gesellschaft und unserer Demokratie gehen wichtige Impulse verloren. Und, last but not least- wer traut noch einem Staat, der derartige Maßnahmen durchführt? Wer schafft es angesichts von Ermittlern, die ungefragt, unbemerkt in die eigene Wohnung eindringen, dort Kameras platzieren und durch diese auch intimste Handlungen beobachten dürfen, noch, ein partnerschaftliches Miteinander mit Regierung und Ermittlungsbehörden durchzuhalten? Wer fühlt sich angesichts eines solchen Machtgefälles noch als mündiger Bürger? Und wer glaubt allen ernstes, dass dieses Misstrauen, diese Frustration, diese Ohnmacht der Bürger und die daraus erwachsende Unzufriedenheit und „dagegen“-Haltung nicht die Arbeit der Ermittlungsbehörden in einer Art und Weise behindert, die die Vorteile durch die neuen Befugnisse aufwiegt? Wer kann garantieren, dass aus dieser Gefühlslage nicht neue Kriminalität entsteht? Meine Antwort auf alle diese Fragen lautet: „Wahrscheinlich niemand“- und diese Tatsache macht mir Angst. Sie bestärkt mich aber auch in der Ansicht, dass das BKA-Gesetz in dieser Form auf gar keinen Fall Realität werden darf.

Offenbar sind sich auch die Innenminister selbst noch nicht über alle Einzelheiten des Gesetzes einig (dies berichtet zumindest heise News unter Berufung unter anderem auf das RBB-Inforadio). So sieht Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm erhebliche Probleme bei der Frage, ob und unter welchen Umständen die Ermittler heimlich in private Wohnungen eindringen dürfen. „Das, woran der Bundesinnenminister gedacht hat, wird möglicherweise nur durch eine Änderung der Verfassung gehen. Die Sache sollte man erst einmal fachlich und dann rechtlich diskutieren, und dann müssen die Bundesregierung und der Bundestag entscheiden, ob sie gewillt sind, diesen Weg zu gehen. Das ist noch völlig offen,“ wird der Minister zitiert. Andere Minister sehen dagegen weniger Probleme, so heißt es über den niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann: Von dem Treffen gehe das „klare Signal“ aus, zitiert die dpa Schünemann, dass der von Schäuble und Zypries gefundene Kompromiss die Grundlage für die weitere Arbeit sei.

So oder so, offenbar hat man es eilig mit der Einführung dieses Gesetzes; so berichten mehrere Quellen, das BKA-Gesetz sollte sogar noch vor der Sommerpause vom Kabinett beschlossen werden. Dann wird man handeln müssen- politisch, durch Aufklärungs- und Medienarbeit, möglicherweise aber auch juristisch durch einen weiteren Gang vor das Bundesverfassungsgericht. Es ist wirklich traurig, dass unsere Politiker es nicht von selbst lernen und nach mehreren Niederlagen vor dem Bundesverfassungsgericht ein weiteres Mal die äußersten Grenzen des deutschen Grundgesetzes auszuloten versuchen. Es bleibt uns allen zu wünschen, dass sie auch ein weiteres Mal damit scheitern- entweder am Widerstand der Opposition und der Bevölkerung oder spätestens auf dem Rechtsweg.

4 Kommentare leave one →
  1. Gernot permalink
    20. April 2008 1:52 pm

    Den Entwurf gibts hier: http://netzpolitik.org/2008/der-entwurf-des-bka-gesetzes-zum-download

  2. Annika permalink*
    20. April 2008 3:20 pm

    Danke, Gernot. Zum Zeitpunkt meines Artikels gab es den noch nicht, aber ich werde mir das jetzt natürlich sobald ich etwas Zeit habe durchlesen und dann wohl auch hier noch entsprechend würdigen.

  3. 20. April 2008 3:33 pm

    Lausch- und Spähangriffe sind in den Bundesländern längst Realität. Mehr oder minder geregelt in den Polizeigesetzen der Länder. Zudem denke ich, das BKA und Geheimdienste sowieso auf diese bürgerfeindlichen Methoden zurückgreifen, selbst wenn der Gesetzentwurf vom bundesverfassungsgericht gekippt wird. Leider!

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