Zum Inhalt springen

„Leuten Angst zu machen ist unser Job“

8. Dezember 2007

Über sehr merkwürdige Polizeitaktiken in New York berichtet die Technikseite Popular Mechanics (danke für den Link an Fefe). Auch wenn der Bericht dort eher unkritisch und eher bewundernd über die Effizienz dieser Leute bei der Terrorismusbekämpfung ist- die Inhalte haben es in sich.

In dem Artikel wird (neben Schilderungen neuer Technologien und der Tatsache, dass scheinbar ganz New York zum Testgelände für eben jene und für neue Taktiken wird) berichtet, wie sogenannte „Hercules Teams“ in voller Körperpanzerung und schwer bewaffnet (beispielsweise mit Maschinenpistolen und Schrotflinten) an öffentlichen Plätzen Präsenz zeigen (entweder auf bestimmte Hinweise hin oder einfach um Stärke zu demonstrieren). Währenddessen beobachtet ein weiterer Polizeibeamter in Zivil die Szene und sucht nach Anzeichen dafür, dass sich jemand „auffällig verhält“- das könnte zum Beispiel bedeuten, dass er Videoaufnahmen oder Notizen macht, aber auch, dass er besonders überrascht oder ängstlich wirkt angesichts der plötzlichen Polizeipräsenz.

Die Mitglieder dieser Teams sind auf ihre Wirkung offenbar stolz. „Normalerweise bekommen wir [eine sehr entsetzte Reaktion]. Das ist die Reaktion, die wir wollen. Leuten Angst zu machen ist unser Job- wir wollen nur den richtigen Leuten Angst machen,“ sagt einer der Offiziere.

Worte, die man kaum in einem Rechtsstaat mit funktionierer Kontrolle gegenüber den Organen der Exekutive vermuten würde. Amerika, einst das „Land of the Free“, entwickelt sich mehr und mehr zum „Land of the Scared“. Wie weit muss es mit einer Nation offenbar gekommen sein, wenn einfach hingenommen wird, dass am hellichten Tag und ohne wirklichen Grund ein Geländewagen voller Schwerbewaffneter vorfährt und dessen Insassen Angst und Schrecken unter der Bevölkerung verbreiten? Wohl gemerkt- in Friedenszeiten. Einfach so. Angst zu haben wird offenbar als normal oder zumindest als akzeptabel wahrgenommen, und auch ein derart martialisches Auftreten inmitten unschuldiger Zivilisten scheint niemanden wirklich zu stören.

Auch die Risiken eines solchen Auftritts sollte man nicht unterschätzen. Es gibt plausible Gründe dafür, wieso man normalerweise nicht in einer Menge von Unbeteiligten (womöglich Kindern) mit einer Maschinenpistole herumhantiert. Selbst wenn man dafür ausgebildet ist- so etwas ist überflüssig und gefährlich.

Ganz zu schweigen von den psychischen und sozialen Auswirkungen, die derartige Auftritte haben dürften. Zeigt mir jemanden, der behauptet, dass ihn solche Begegnungen vollkommen kalt lassen, und ich zeige euch einen Lügner. Selbst die Mutigeren unter uns dürften es sich angesichts einer solchen Übermacht mehrfach überlegen, durch irgendeine Form abweichenden Verhaltens aufzufallen.

Insbesondere, da nach „abweichendem Verhalten“ ja sogar gezielt Ausschau gehalten wird. Hierbei handelt es sich mal wieder um einen so dreisten Fall pauschaler Kriminalisierung, dass einem fast die Adjektive ausgehen. Um von einem übereifrigen „Intelligence Officer“ als potentieller Terrorverdächtiger angesehen zu werden, reicht es offenbar, wenn ein Teenager, der das Leben noch für einen Actionfilm hält, die Polizeiaktion mit dem Handy festhält um sie auf youtube hochzuladen, oder wenn ein Journalist darüber berichten will und daher Notizen macht. Nicht zu vergessen: Wer schwache Nerven oder mal unangenehme Erfahrungen mit der Polizei gemacht hat, sollte New York im Moment lieber meiden, denn auch wer zu deutlich Angst zeigt, wenn die Hüter von Recht und Gesetz mit ihren Maschinenpistolen auf ihn zugerusht… nein, sorry, dies ist ja kein Counterstrike, auch wenn sich die Gesetzeshüter so benehmen… auf ihn zugerannt kommen, muss ja womöglich schon mit Spekulationen über die eigene Gesetzestreue rechnen. Schöne neue Welt.

In einem Land also, in dem Angst mehr und mehr zum Alltag gehört, kann das zu deutliche Zeigen von Angst einen in Schwierigkeiten bringen- ein gutes Beispiel dafür, wie paradox die momentane Terrorhysterie eigentlich ist. Jeder wird misstrauisch beäugt, überall Furcht gesät, und eine an sich friedliche Stadt mit mehr militärischer und Geheimdienst-Technologie als ein durchschnittliches Kriegsgebiet bestückt. Das ist nicht nur unsinnig, sondern auch entgegen allem, wofür ein Rechtsstaat steht. Eine Polizei, die es als ihren Job sieht, Angst zu machen, anstatt Angst zu verhindern, ist dabei symptomatisch zu sehen für eine Regierung, die genau solche Exekutivkräfte bevorzugt, um ihre Wünsche nach mehr Kontrolle durchzusetzen. Ängste in der Bevölkerung nimmt man dabei billigend in Kauf. Mit diesen kann man entweder die nächste „Antiterrormaßnahme“ begründen- oder aber unschuldige Bürger als „Verdächtige“ einstufen. Es bleibt zu hoffen, dass die amerikanische Bevölkerung bald aufwacht und diese Politik als das verurteilt, was sie ist, nämlich ihres Landes unwürdig, bevor dieser Teufelskreis aus Angst, staatlicher Kontrolle und Unfreiheit sich noch weiter fortsetzt.

4 Kommentare leave one →
  1. vox enigma permalink
    8. Dezember 2007 11:45 am

    Danke für diesen Beitrag. Was du beschreibst, kommt vielleicht auch irgendwann zu uns: Bundeswehrsoldaten, die mit MPi am Arm Kontrollen in der U-Bahn durchführen, um mögliche Attentäter abzuschrecken.

  2. ÖcherJupp permalink
    8. Dezember 2007 1:53 pm

    > Wohl gemerkt- in Friedenszeiten.

    Naaja, ein Land, das in jüngster Vergangenheit zwei Länder mit Krieg überzogen und besetzt hat, in dem mit einer Penetranz der „War on Terror“ beschworen wird und in dem die Anschlagsgefahrenstufe immer schön im dunkelorangen Bereich gehalten wird, befindet sich nicht im Friedenszustand. Offiziell befindet sich das Land natürlich nicht im Krieg (gegen wen auch?), aber das hätte ja auch den Nachteil, dass man irgendwann mal sagen müsse: „So, die Sache ist erledigt, Krieg zuende. Ab jetze wieder Frieden.“
    Nein, die USA befinden sich im Kriegszustand. Und da gelten halt andere Regeln und somit sind solche Aktionen eigentlich nichts Unerwartetes und Ungewöhnliches, um das Volk mal wieder an den Kriegszustand zu erinnern.
    Und wenn ich bei uns die Polizei bei manchen Gelegenheiten sehe… Da dient die Vollpanzerung auch nicht dem persönlichen Schutz, sondern eher der gezielten Einschüchterung des „Gegners“.

  3. Annika permalink*
    8. Dezember 2007 2:22 pm

    Sicher, das ist ja gerade das gefährliche und ablehnenswerte daran, dass die Grenzen zwischen Krieg und Frieden immer mehr verwischt werden. Natürlich wird hier die Bedrohung durch den Terrorismus instrumentalisiert, um eine Art „künstlichen Ausnahmezustand“ aufrecht zu erhalten. So werden „Ausnahmeregelungen“ dann zum Normalfall und der Bürger muss sich wieder von einem Stück seiner individuellen Freiheit verabschieden. Was das angeht, stimme ich Dir vollkommen zu. Aber gerade deswegen muss man wie ich finde ab und zu daran erinnern, dass diese von politischen Hardlinern und ihre Befugnisse ungestraft maßlos überschreitenden Ermittlungsbehörden manipulierte Wahrnehmung eben nicht den Tatsachen entspricht. Risiken durch Kriminalität und Terrorismus gibt es schon lange und wird es auch weiterhin geben- das mit einem Kriegszustand gleichzusetzen ist gegen jedes Recht und nicht zuletzt auch gegen den gesunden Menschenverstand.

    Dem zweiten Teil deiner Ausführungen muss ich allerdings zumindest teilweise widersprechen. Sicher wird es auch hier in Deutschland Einzelfälle geben, in denen die Polizei zu hart vorgeht und/oder auf Abschreckung setzt. Von einer derart systematischen Einschüchterung der Bevölkerung über einen längeren Zeitraum hinweg ist mir allerdings nichts bekannt. Außerdem reden wir hier ja nicht nur von „Vollpanzerung“, sondern immerhin auch von automatischen Waffen, die öffentlich zur Schau gestellt werden…

Trackbacks

  1. Open Mind Blog » Blog Archive » Links 17

Hinterlasse einen Kommentar