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Irrtum, Herr Minister!

1. Dezember 2007

Es gab wieder einmal eine Konferenz mit G am Anfang, und wie es schon Tradition zu sein scheint, kam auch bei dieser nichts heraus außer heißer Luft aus den Mündern der Beteiligten. Mit dabei natürlich unser aller Bundesinnenminister Dr. jur. (Pfui, Kollege!) Wolf*an*Schäuble, und auch er tat sich in multilateraler Schwafelei hervor. Mit Äußerungen wie der Forderung nach einem „einheitlichen Rechtsrahmen für ein internationales Polizeirecht auch zur präventiven Terrorismusbekämpfung“ lockt man keinen Hund hinter dem Ofen hervor – nur junge Blogger wie mich, die „das ja auch nicht ernst“ meinen. (hierzu später)

Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen und Spanien, dazu die USA, das sind die „G6“. All diese Staaten jeweils vertreten durch die Innen-/Heimatschutzminister und nicht näher definierte „Experten“. Interessant zu sehen, wer in einem Teil dieser Länder regiert.

1. Michael Chertoff, Heimatschutzminister der USA, von Beruf Jurist (Harvard University). Er wurde von Präsident George W. Bush ernannt, was in sich schon einen „gewissen Konservativismus“ wahrscheinlich werden lässt und offeriert zum Beispiel hier einen Einblick in seine isolationistischen Ansichten und seine Skepsis gegenüber dem Vorrang von Gerichtsentscheidungen gegenüber politischen Entscheidungen – dieser Vorrang ist DAS Bollwerk gegen ungerechte staatliche Maßnahmen schlechthin.

2. Michèle Alliot-Marie, französische Ministerin für Innere Angelegenheiten, Gebiets- und Überseekörperschaften, Dr. iur. und Diplomvölkerkundlerin. Ernannt wurde sie von Präsident Nicolas „Banlieue-Kärcher“ Sarkozy, vorgeschlagen von Francois Fillon, dessen engsten Vertrauten. Sarkozy – er erlangte bedauerliche Berühmtheit, als er jenseits allen politischen Geschicks den Sommer und Herbst 2005 für Frankreich verdammt heiß gestaltete; Sarkozy wollte in den Vorstädten von Paris, in denen damals heftige Unruhen der meist aus Nordafrika stammenden Jugend herrschten, „mit dem Hochdruckreiniger (Kärcher)“ vorgehen. Nicht eben ein Argument für sein Interesse an innerer Freiheit und der von ihm ernannten Regierung, deren Teil Alliot-Marie ist.

3. Jacqueline Smith, Innenministerin des Vereinigten Königreichs, Bachelor in Philosophie, Politik und Wirtschaft. Wer in der Regierung Brown, die den radikalen Kurs der Regierung Blair, Home Secretary konsequent fortsetzt, kann angesichts dessen und angesichts der besonderen Kabinettstreue (ein Minister, der gegen die Regierung spricht, ist bis jetzt noch immer zurückgetreten) britischer Minister niemand sein, dessen Einstellung zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit eines ist, das man sich bei einer so mächtigen Frau wünscht. Persönlich negativ aufgefallen in dieser Hinsicht ist Smith allerdings nicht.

Vier von sieben an der Konferenz beteiligten Staaten haben also Regierungen, die im Zweifel bei den Bürgerrechten einen Kompromiss machen würden oder bereits gemacht haben, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Das sollte man bei der Betrachtung der Konferenzergebnisse dringend im Hinterkopf behalten. Spanien ist womöglich eher als Opferland der verheerenden Madrider Anschläge eingeladen als als Teilnehmer, von dem die vier Zustimmung erwarten dürfen, Polen ist auf der Suche nach außenpolitischem Profil und Anbindung an den Westen. Italien hat mit Romano Prodi einen Ministerpräsidenten, der generell gern auf EU-Ebene mitwirkt (normalerweise auf sehr begrüßenswerte Weise).

Aber zurück zum Inhalt der Konferenz, besonders den Aussagen unseres Wolf*an*. Gleichzeitig verteidigte der Innenminister seine Pläne für Online-Razzien. Zitat von heise.de: „Es gebe […] „keinen Ansatz für eine flächendeckende Untersuchung von Online-Daten““ Wäre Schäuble drei Jahre alt, würde man über seine Frechheit schmunzeln können. Nach Inkrafttreten der Novelle des Telekommunikationsgesetzes und Ablauf der Übergangsfrist für die Internet-Provider wird man jeden Zugriff eines Benutzers auf einen Internetinhalt auf ein halbes Jahr nachprüfen können. Damit sind die Daten meiner Meinung nach genügend „untersucht“… Schäuble lässt uns wieder einmal nur zwei Interpretationsmöglichkeiten: Entweder er ist sich der Tragweite der VDS nicht bewusst oder er sagt die Unwahrheit – vulgo: Er lügt uns die Hucke so voll, dass ich für meinen Teil noch als Rentner an Rückenschäden zu leiden haben werde.

Interessant auch folgende Aussage des Ministers: „Die Auslassungen der SPD [mit Skepsis gegenüber der Onlinedurchsuchung zum Inhalt]begründen sich doch einzig darin, dass die Sozialdemokraten mit schlechten Umfragewerten kämpfen. In Wahrheit bestreitet die SPD nicht ernsthaft, dass wir die Online-Durchsuchung brauchen.“

Faszinierend, wie Schäuble jeden, aber auch jeden Widerspruch gegen seine Politik entweder wie hier zu diskreditieren versucht, mit Argumenten der Preisklasse „Ich habe recht, weil ich recht habe“ antwortet. Wer auf diese Weise diskutiert, der kann für sich die Konstruktivität des schon genannten Dreijährigen in Anspruch nehmen – offenbar reicht das in diesen Tagen, um von Kanzlerin und Justizministerin ungestört an den Werten unserer Gesellschaft feuerwerken zu dürfen.

Weiter merkt Schäuble seine Verwunderung darüber an, „wie über die Medien mit offensichtlichen Fehlinformationen solche Hysterie geschürt“ werde. Ja, es gibt Blogger, die Unsinn schreiben und beim Wort „innere Sicherheit“ gleich „Big Brother“ assoziieren, einige reguläre Medien melden ähnlichen Müll, und es gibt Kreise, in denen eine stillschweigende Nazivergleichsquote zu existieren scheint („Wird der Regierung bzw. ‚dem Staat‘ nicht mindestens einmal in einer Stunde Nähe zum Nationalsozialismus vorgeworfen, ist die Diskussion wertlos.“)… aber diese Erscheinungen bilden die Minderheit. In den meisten Medien kann von Hysterie der VDS wegen keine Rede sein, eher vom Gegenteil, während die meisten Blogger-Kollegen aus ihrer Sicht, aber vernünftig über das Thema schreiben. Im Shop „Fachhandel für Mittel zur Angewandten Meinungsmache und Diskussionsbeendung“ würde die Verkäuferin in Sachen „Unerwünschte Berichterstattung als ‚Hysterieverbreitung‘ bezeichnen“ sicherlich mit den Worten „Das wird immer gern genommen, Herr Minister!“ über die Theke reichen. Soviel hierzu.

Dann berichtet heise noch von einer weiteren Äußerung, und da bezieht er sich auf uns Blogger und die Leute vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung: „Die jungen Menschen, die mir derartige Vorhaltungen machen, meinen das ja auch nicht ernst.“

Soso, Wol*an*. Wir meinen das also nicht ernst. Ich erlaube mir hier einmal das „Du“, denn du scheinst uns ungefähr so sehr zu respektieren wie (ich komme nicht mehr davon los) eine Horde schreibfähiger Dreijähriger. Wenn du dich mit dieser Einschätzung nicht mal schwer täuschst. Ich jedenfalls will dich wirklich aus dem Amt gejagt sehen. Ich jedenfalls will wirklich surfen und telefonieren, ohne dass alle Verbindungen aus dem Grunde gespeichert werden, dass ich…äh…hm…von Deutschland aus surfe. Auch was die Wirkung der Initiativen gegen die VDS angeht:

Täusch‘ dich nicht, Wolf*an*. Die Verfassungsbeschwerde könnte dein Zweitlieblingsspielzeug leicht kaputtmachen.

5 Kommentare leave one →
  1. vox enigma permalink
    1. Dezember 2007 11:03 pm

    Danke für die „jungen Menschen“, Wolfgang! Ich werde nächstes Jahr vierzig und hatte mich eigentlich für einen alten Sack gehalten!

  2. 3. Dezember 2007 3:09 am

    Er meint doch nur „geistig jung und flexibel geblieben“ 🙂

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